City of Death - Blutiges Erbe (German Edition)
die Stirn.
Es war dunkel draußen, er musste also längst wach sein. Ich rief Max an, vielleicht war Will ja im Drake , doch auch er ging nicht ans Telefon. Das beunruhigte mich jetzt schon. Da ich mich in Marzahn überhaupt nicht auskannte und weit und breit weder U-Bahn noch S-Bahn fand, fragte ich mich bei den Passanten durch. Ich bedankte mich, als mir eine Frau den Weg zur S-Bahn erklärte, und machte, dass ich hier wegkam. Ich fuhr bis Ostkreuz und von dort aus in Richtung Spandau und hoffte, dass ich keinen Fahrkartenkontrolleuren begegnete. Ich hatte kein Bargeld bei mir und hätte nach einer Bank suchen müssen, um mir einen Fahrschein zu kaufen. Da ich dafür aber keine Zeit hatte, fuhr ich schwarz. Ich versuchte noch ein paar Mal, Will und Max zu erreichen – vergeblich. Das gibt‘s doch nicht! Ich steckte das Handy weg. Warum gingen sie nicht ran? War ihnen etwas zugestoßen? Die Bahn fuhr gerade im S-Bahnhof Alexanderplatz ein, als ich sah, dass etwas nicht stimmte. Der ganze Alexanderplatz war voller wild umher rennender und schreiender Menschen, der Bahnhof selbst war von Menschenmassen überfüllt, und alle schrien sie voller Panik.
»Was zum …?«, murmelte ich und stand von meinem Sitz auf, als die Bahn zum Stehen kam. Kämpften dort etwa Menschen auf dem Platz? Ich hörte Schüsse fallen, sah Rauch und Feuer aufsteigen und hörte die ganze Zeit über dieses Geschrei.
»Hier spricht die Polizei. Bitte bewahren Sie Ruhe. Steigen Sie nicht aus den Zügen. Fahren Sie weiter«, hörte ich jemanden durch die Anlage sprechen. Und da erst bemerkte ich die unzähligen Polizisten zwischen den Menschenmassen. Sie hinderten die panischen Menschen daran, den Bahnhof zu verlassen und drängten sie in die Züge. Ich kam mir vor, als wäre ich bei einer Demo. Die Beamten waren mit Schlagstöcken bewaffnet, trugen Schutzwesten, Schilde und schwere Helme. Als sich die Waggontüren öffneten, drängten die Menschenmassen in die Abteile und schubsten sich gegenseitig um. Ich versuchte, aus dem Waggon zu kommen, wurde aber in kürzester Zeit bis ans Ende des Abteils gedrängt. »Hey!«, rief ich, als mich jemand umschubste. Ich rappelte mich auf und drängelte mich durch die Massen.
»Was ist denn hier los?«, fragte ich einen Mann, doch er antwortete nicht, sondern sah mich nur mit großen Augen an. Hinter mir begann eine Frau zu weinen. Ich drehte mich zu ihr um und sah, dass sie am Kopf blutete und ihr Gesicht völlig verdreckt war. Scheiße! Was war hier los? Ich schaffte es, mich aus dem Abteil zu drängeln, ehe sich die Türen schlossen. Doch schon kam die nächste Menschenmenge die Treppen heraufgestürmt. Binnen Sekunden war der Bahnsteig rappelvoll. Ich arbeitete mich bis zur Treppe vor und stellte einen Polizisten zur Rede. »Was geht hier vor?«, rief ich über den Lärm hinweg.
Ich hatte Mühe , ihn zu verstehen, als er antwortete: »Bitte treten Sie zurück! Der Bahnsteig ist bis auf Weiteres gesperrt. Fahren Sie nach Hause.«
Ich deutete auf den Platz. »Was ist da unten los?«
Er antwortete nicht, sondern drängelte mich zurück, als weitere Menschen die Treppe hochkamen. Also gut, ich schnallte mir meine Handtasche fest über die Schulter, damit sie nicht verloren ging, dann nahm ich Anlauf und durchbrach die Barriere der Polizisten.
»Hey, stehen bleiben!«, rief mir einer hinterher, doch ich beachtete ihn nicht, sondern schob mich an dem Strom panischer Menschen vorbei.
Ich hatte die Hälfte hinter mir, als ich sah, dass am Fuße der Treppe weitere Polizisten warteten. Kurzerhand sprang ich über das Geländer und landete leichtfüßig auf dem Boden.
»Das gibt’s doch nicht«, fluchte ich, als die Ausgänge ebenfalls blockiert waren. Hier war allerdings etwas anders, denn die Polizisten waren bewaffnet und feuerten in Richtung Alexanderplatz. Mein Gott! Ich lief zum mittleren Ausgang und packte einen Beamten am Arm. »Sind Sie verrückt?«, rief ich und riss ihn zu mir herum. »Warum schießen Sie auf Zivilisten?«
Er sah mich aus schreckensweiten Augen an. »Hören Sie! Was auch immer da draußen ist, es sind sicher keine Zivilisten«, sagte er und schoss weiter.
Ich rannte einen Aufgang weiter, wo nicht geschossen wurde. Hier waren die Einsatzkräfte damit beschäftigt, Schaulustige davon abzuhalten, den Bahnhof zu verlassen. Und auch ich wurde wieder gebeten zurückzutreten, nach Hause zu fahren und Ruhe zu bewahren. Auf meine Frage hin, was denn eigentlich dort draußen los sei,
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