City Vampire - Frankfurt im Morgengrauen
offensichtlich war Julia gerade dabei gewesen, die Rechnung zu schreiben. Wieso hatte sie ihre Arbeit unterbrochen und war einfach gegangen, ohne den Computer herunterzufahren? Sie schüttelte den Kopf. Bestimmt war das Mädchen von einer Freundin angerufen worden, wegen irgendeines Liebeskummer-Notfalls oder dergleichen, und hatte dann das Büro in aller Eile verlassen. Das war zwar ungewöhnlich, aber nicht weiter schlimm. Sie würde Julia daran erinnern, in Zukunft besser aufzupassen, schließlich waren die Kundenakten sensible Dokumente und die Dateien gingen niemanden außerhalb der Detektei etwas an.
Lara drehte dem Monitor den Rücken zu und zog eine der Schubladen des großen Aktenschrankes hinter dem Tresen auf. Hier hingen die Akten sämtlicher Klienten, ordentlich abgeheftet und alphabetisch sortiert. Sie suchte die Unterlagen heraus, die sie brauchte, klemmte sie sich unter den Arm und schob den Schrank wieder zu. Dann ging sie hinüber in ihr Büro. Sie schob die Tür auf und knipste das Licht an.
Der Anblick, der sich ihr bot, ließ ihr Blut in den Adern gefrieren.
Kapitel 22
Julias Leiche lag vor Laras Schreibtisch auf dem Boden, die Augen weit aufgerissen; noch im Tode stand ihr die Angst ins Gesicht geschrieben. Ihre Haut schimmerte blass, das feine rote Haar war zerzaust. Eine ausgerissene Strähne lag ein Stück von ihrem Kopf entfernt auf dem Boden.
Die Kaffeetasse glitt aus Laras Händen und zerschellte auf dem Boden, als sie nach vorn stürmte und sich vor ihrer Assistentin auf die Knie sinken ließ.
„Julia“, rief sie verzweifelt, „mein Gott, Julia …“ Tränen rannen über ihr Gesicht, als sie den Puls an Julias Halsschlagader zu erfühlen versuchte. Doch da gab es keinen Puls mehr. Langsam glitt Laras Blick vom Gesicht der Toten hinab zu ihrem Arm, ihrer Hand. Mit zitternden Fingern hob sie das schmale Handgelenk des Mädchens an. Da war es – ein Pentagramm, eingefasst in einen Kreis, tief eingebrannt in das weiße Fleisch ihrer toten Assistentin. Lara glaubte, sich übergeben zu müssen.
Sie bemerkte nicht den Schatten, der bei ihrem Eintreten hinter der Tür gelauert hatte. Sie bemerkte auch nicht, wie dieser Schatten sich näherte und nunmehr bedrohlich über ihrem Kopf aufragte. Erst als sich ihr die Haare im Nacken sträubten und das Adrenalin mit Wucht durch ihren Körper schoss, wurde sie sich der Gefahr bewusst. Doch da war es schon zu spät.
Sie spürte nur einen wahnsinnigen, stechenden Schmerz an ihrer rechten Schläfe, dann wurde es dunkel um sie herum.
Als Lara wieder zu sich kam, schmerzte ihr Kopf noch immer. Es war, als habe man ihren Schädel in eine Schraubzwinge gesteckt und zugleich war ihr so übel, dass sie würgen musste. Wo war sie bloß? Es dauerte einen Moment, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten; schließlich konnte sie Schemen erkennen und sie spürte eine harte, steinerne Wand im Rücken. Vorsichtig tastete sie das Gemäuer mit den Händen ab. Kalt war es hier, kalt und feucht. Sie blickte nach oben durch ein kleines, Loch direkt unterhalb der Decke drang mattes, trübes Tageslicht herein. Wie lange sie wohl bewusstlos gewesen war? Lara hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie versuchte, ihre Sitzposition zu verändern, doch sofort schoss wieder der Schmerz durch ihren Kopf. Unwillkürlich stöhnte sie auf. „Ah, du bist wach“, kam eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit. Eine Kerze wurde angezündet und Lara konnte die Gestalt dahinter erahnen.
„Der Schlag auf den Kopf tut mir leid “, die Stimme klang bedauernd. „Aber ich musste verhindern, dass du schreist. Wir wollen doch ungestört sein, nicht wahr?“ Er sprach freundlich, doch die grausame Ironie in seinem Ton entging Lara nicht. Um das zu verstehen, brauche ich nicht einmal besondere Fähigkeiten , dachte sie bitter.
„Sie müssen Skolgar sein “, folgerte sie.
„ Ganz richtig, der bin ich, Lara.“ Langsam stellte der Vampir die Kerze auf dem Boden direkt vor ihr ab. Dann beugte er sich in ihre Richtung, sodass Lara sein Gesicht im Feuerschein sehen konnte.
Der alte Vampir war durchaus attraktiv, wie geschaffen, um die Menschen zu verführen. Skolgars Gesicht war markant und männlich, ebenso wie seine aristokratische Nase. Das schwarze Haar war wild und verwegen, seine Lippen exakt geschwungen.
Skolgar schien ihre Gedanken lesen zu können oder vielleicht hatte ihn auch nur die jahrelange Erfahrung gelehrt zu wissen, was andere über ihn dachten :
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