Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
Vom Netzwerk:
mickriger Euros ihrer Würde entledigten.
Die Bosse hatten begonnen, die Tiere aufeinanderzuhetzen .
Und es bereitete ihnen unendliches Vergnügen.

 
    2

 
    Die Arbeit
hatte so geendet, wie sie begann. Nach vollbrachtem Tagewerk war ich noch etwas
in der Stadt Mürren herumgefahren, die sich in
unmittelbarer Nähe meines Dorfes befand. Als Christ und braver
Kirchenbeitragszahler hatte ich ein Gotteshaus aufgesucht und eine Kerze
entzündet. Selbst hier oder vielleicht auch gerade hier stand ein ehernes Gefäß
zur Entrichtung des Ablasses. Ich hatte nicht gedacht, wie teuer Wachs
inzwischen geworden sein musste.
    Eine Kirche
war ein beruhigender, fast magischer Ort. Solange keine Menschen darin waren.
Und keine Prediger. Ich hatte stets an Gott geglaubt. Selbst in meinen bittersten
Stunden. Selbst jetzt, wo er die Augen vor dem schloss, was aus seinem Werk
geworden war. Doch dazu brauchte ich keine Vermittler, keine Messen, keine
Bibel. Man spürte ihn oder verleugnete ihn. Er steckte in uns. So unbegreiflich
das auch war. Und ich brauchte ihn. Denn nur er würde mich dorthin führen, wo
ich wieder glücklich sein konnte.
    Nachdem die
Kerze ein gutes Stück abgebrannt war und ich meine Gebete verrichtet hatte,
fuhr ich weiter. Vorbei an meiner alten Schule, die ich einst als hoffnungsfroher
Maturant abgeschlossen hatte. Wie lange war das her? Wie lange schon hatten die
alten Ideen, alten Wünsche, alten Ideale keinerlei Bedeutung mehr?
    Als ich mich
daran machte, meinen Weg zu gehen, der in einer Sackgasse mündete und
schließlich zu einem Abgrund führte. Ohne Möglichkeit, noch einmal umzukehren.
Ich kam vorbei an dem Haus, wo meine Eltern neben dem Holzhandel ein
Möbelgeschäft geführt hatten. Dort, wo einst ein kleiner Junge zwischen Betten,
Sofas und Kommoden herumtollte, war jetzt altes Gerümpel durch die völlig
verstaubten und zersprungenen Auslagescheiben zu betrachten. Der Niedergang des
Hauses Usher . Poe hätte daran seine Freude gehabt.
    Vorbei an
Kneipen, wo ich mehr getrunken hatte als jeder andere. Vorbei an dem alten
Wohnhaus, wo wir ebenso turbulente wie auch glückliche Jahre verlebt hatten.
Bis meine Eltern gestorben waren und uns ihr Haus vermachten. Vorbei an schönen
und schlechten Erinnerungen. Bis ich schließlich wieder einmal dort anlangte,
wo alles zu Ende ging. An dem Schutzweg gegenüber dem Altenheim, wo sie
gearbeitet hatte. An dem Schutzweg, wo sie ein Betrunkener frühmorgens über den
Haufen gefahren hatte. Nach einer Nachtschicht von so vielen, als sie sich
schon auf ihr warmes, kuscheliges Bett gefreut hatte. Nach einer Nachtschicht,
die unser beider Leben beendete.
    Ich fuhr
heulend weiter. Zurück nach Alt-Mürren . Dorthin
zurück, wo mich niemand mehr erwartete. Bis auf Clara, die dafür büßen und mich
erretten sollte.

 
    3

 
    Ich saß wie
üblich am Stammtisch des Dorfwirtshauses und las in einer Tageszeitung, als
sich Franz Burger zu mir gesellte. Burger führte die größte Landwirtschaft im
Umkreis, war Kommandant der Feuerwehr und hatte das örtliche Jagdrevier unter.
Ich konnte ihn nicht leiden. Genauso wenig, wie schon mein Vater den Seinigen
nicht leiden konnte. War Aversion vererblich? Oder anerzogen? Ich wusste es
nicht. Ich wusste nur eines. Burger war ein Großkotz, der auf den Arbeiter
herabblickte. Vor allem auf Arbeiter, die es hätten weiterbringen können.
    »Ich hoffe,
meine Kinder haben dich zuletzt nicht gestört. Verbringst ja ganz schön viel
Zeit in deinem Dschungel. Sogar im Winter.« Ja, mein Dschungel. So nannte er es
also. Ich tat so, als ob ich in der Zeitung weiterlesen würde.
    »Nicht so
viel wie deine Kinder«, gab ich zu bedenken. Die anderen beiden Männer, die
noch am Tisch saßen, unterbrachen ihr Gespräch und lauschten. Hier konnte sich
etwas zusammenbrauen.
    »Jungs sind
nun einmal so. Aber nicht jeder weiß das.« Wieder so ein Seitenhieb. Ja, ich
hatte keine Kinder. Ein weiterer Makel, der unauslöschlich auf meiner Stirn
gebrannt stand.
    »Ich
beschwere mich nicht«, entgegnete ich einsilbig. Er begann, offenbar zu
überlegen, und änderte seine Taktik.
    »Hast ja
ewig an der Hütte rumgebaut. War da nicht einmal ein Keller ?« Er wusste verdammt gut, dass da ein Keller war. Und eine Sägemaschine, mit der
meine Familie einst ihr Geld verdient hatte.
    »Ja, da ist
ein Keller. Nur halte ich mir da jetzt zwei Nutten. Und der Einbau des
Whirlpools hat eben eine Weile gedauert. Vielleicht kommen deine Jungs ja mal
vorbei

Weitere Kostenlose Bücher