Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
Weihnachtsgeschenk zu suchen?«, fragte sie mit zittriger Stimme.
Seine Augen verengten sich. Sie hatte ihm die Vorlage für eine Ausrede geliefert und er wollte die Lüge nur zu gern übernehmen. Doch man sah ihm an, dass er ihr nicht traute. »Sie haben gesagt, wir können Sachen von überall im Haus nehmen.«
»Allerdings, das stimmt«, erwiderte Cassandra freundlich, »und hier im Zimmer habe ich auch eine Reihe von Dingen bereitgelegt. Bist du hergekommen, weil dir etwas davon gefällt?«
Der Junge presste die Lippen aufeinander und weigerte sich, etwas preiszugeben. Cassandra verlor die Beherrschung. Sie war tief enttäuscht und krank und es schon wieder leid, die freundliche alte Dame zu spielen. »Mir ist kalt«, blaffte sie, »und die Decken liegen auf dem Boden, sodass ich nicht rankomme. Bring mir ein Glas Wein. Die Karaffe und ein Glas stehen auf dem Waschtisch. Geh ihn holen.«
Der scharfe Tonfall machte Parsefall Beine. Er hob die heruntergefallenen Decken auf und warf sie über ihren Körper. Cassandra beobachtete ihn ungeduldig, während er zur Karaffe griff, ihr ein Glas Wein einschenkte und ihr brachte. Sie trank es in einem Zug leer und streckte es ihm wieder hin. Zu ihrer Überraschung nahm er es. Mit Grobheit kam er besser zurecht als mit ihrer gespielten Freundlichkeit. Vermutlich war er es gewohnt, ausgeschimpft und herumkommandiert zu werden.
»Ich will noch ein Glas. Schenk dir auch eines ein.« Cassandra deutete auf einen silbernen Kelch auf dem Tisch. »Nimm den. Dann trinken wir gemeinsam.«
Er machte ein erstauntes Gesicht, ging aber erneut zur Karaffe und schenkte für sie beide ein. Er nahm einen Schluck und leckte sich die Lippen. Er hatte augenscheinlich noch nie Portwein probiert.
»Also, du bist wegen deines Weihnachtsgeschenks hergekommen.«
Der Junge senkte den Kopf und schlürfte den Wein, als wäre es Suppe. Sein Gesicht konnte sie so nicht sehen.
»Ich habe gesagt, ihr dürft euch nehmen, was euch gefällt. Ich will nur wissen, was es ist. Dir gefällt etwas von den Sachen auf dem Tisch, ja? Etwas, das du gestern Abend hier gesehen hast?«
Parsefall warf einen Blick über die Schulter. »Die Pistole.«
Cassandra lächelte. »Ich habe mir gedacht, dass dir die gefallen könnte. Wenn du sie haben willst, gehört sie dir. Geh und hol sie.«
Er schien etwas aus der Fassung, aber stand auf und ging durch das Zimmer, um seine Trophäe in Besitz zu nehmen. »Ist sie geladen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Cassandra wahrheitsgemäß. »Drück ab und wir wissen es.«
Parsefall starrte sie mit offenem Mund an. Dann richtete er die Pistole auf das Fenster und fingerte am Abzug herum. Cassandra schüttelte den Kopf. »Nicht so. Du musst erst den Hahn spannen. Komm, gib mir die Pistole.« Sie streckte die Hand aus und er kam zum Bett; die Waffe trug er mit der Mündung nach unten. »Tritt zurück!« Cassandra spannte den Hahn, zielte auf einen der Spiegel und drückte ab.
Nichts tat sich.
»Kein Schießpulver«, stellte Cassandra verdrießlich fest. Sie ließ die Pistole auf die Bettdecke fallen. »Ich weiß nicht genau, ob wir Schießpulver im Haus haben. Vielleicht können wir welches im Dorf bestellen.«
Parsefalls ungläubiges Gesicht war sehenswert und verzog sich völlig überraschend zu einem breiten Grinsen. Schon lange hatte niemand mehr Cassandra ein solches Lächeln geschenkt und es bereitete ihr eine absurde Freude. Ein warmes Gefühl stieg ihr in die Wangen und sie fragte sich, ob sie wohl zu viel getrunken hatte. Dann erstarb ihr Lächeln. Sie durfte sich keine Sentimentalitäten gegenüber dem Jungen leisten. Ob sie ihn mochte oder nicht, sie hatte die Absicht, ihn zu benutzen. Und falls ihr das gelänge, wäre sie sein Untergang.
Auf einmal entdeckte sie den Kopfkissenbezug, der mitten im Zimmer lag. »Was ist das?«
Parsefall spannte sich an. »Meine Weihnachtsgeschenke. Sie haben gesagt, ich darf haben, was ich will.«
»Ja, das habe ich gesagt und auch ernst gemeint. Bring sie her und zeig sie mir. Was hast du dir ausgesucht?«
Der Junge wuchtete den Kopfkissenbezug auf das Bett und öffnete ihn. »Hauptsächlich Kerzenständer«, erklärte er. »Davon gab’s jede Menge. Ich hab die silbernen genommen. Die aus Porzellan hab ich Ihnen dagelassen, die sind nich’ viel wert.« Er spähte in den Kissenbezug, ohne Cassandras Belustigung zu bemerken. »Und da war noch so ’ne Uhr mit ’nem Metalllöwen drauf. Die hab ich auch genommen. Und ’n
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