Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
wo die beiden anderen Kinder hin sind, und vielleicht ist es ein Rätsel und nicht zwei. Sie können sagen, was Sie wollen: Man hat keine Leichen gefunden, und wo Leben is’, da is’ Hoffnung. Wohingegen Mr Pinchbeck auf der Stelle tot war, wie ihn der Omnibus überfahren hat.« Sie gestikulierte und machte ein Geräusch nach, womit sie eindrucksvoll und erstaunlich anschaulich darstellte, wie der Körper eines Mannes von Rädern überrollt wurde. »Hat ihm den letzten Atem rausgepresst. Da war keine Hoffnung mehr, das sag ich Ihnen. Aber bei Ihrer Tochter, da is’ kein Omnibus im Spiel, Sir. Und wo kein Omnibus, da is’ Hoffnung. Und wenn ich Sie wär, Sir, dann tät ich zu diesem Windermere fahren und mich umhören.«
Dr. Wintermute faltete den Umschlag zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche. »Das werde ich. Ich bin Ihnen wirklich zu Dank verpflichtet, gnädige Frau.« Er griff abermals in seine Tasche. »Bitte erlauben Sie mir …«
Mrs Pinchbeck zierte sich. Das Wortgeplänkel, das nun folgte, zog sich auf eine Art und Weise in die Länge, wie Dr. Wintermute es sich nie hätte träumen lassen. Mrs Pinchbeck beharrte darauf, dass sie kein Geld von ihm nehmen werde, um im gleichen Atemzug zu betonen, dass jede andere Frau, die sich in vergleichbaren Nöten wie sie befände, sich verpflichtet sehen würde, den Sovereign anzunehmen. Naiverweise hielt Dr. Wintermute die Unterredung an dieser Stelle für beendet, aber Mrs Pinchbeck schien es nicht eilig zu haben, aufzubrechen. Es dauerte eine Weile, bis ihm dämmerte, worauf sie wartete: Er sollte ihr das Geld aufdrängen. Nun war Dr. Wintermute gern bereit, sich von einer oder zwei Goldmünzen zu trennen, noch mehr brannte er jedoch darauf, diese Frau loszuwerden, und es trieb ihn in den Wahnsinn, dass sie sich so gar nicht aus der Ruhe bringen ließ. Er räsonierte und schmeichelte und zeigte Mitgefühl. Schließlich holte er eine Fünf-Pfund-Note aus der Tasche – und noch immer wollte sie nicht gehen. Zu guter Letzt läutete er nach Bartlett und trug ihm auf, eine Hansom-Droschke für Mrs Pinchbeck kommen zu lassen. Als der Butler endlich die Frau nach draußen geleitete, fühlte sich Dr. Wintermute, als hätte er eine lange, zermürbende Prüfung hinter sich. Er ließ sich in einen Sessel vor dem Kamin fallen, zog den Umschlag heraus und betrachtete ihn.
Die Tür ging auf. Dr. Wintermute schaute auf und fürchtete schon, Mrs Pinchbeck sei zurückgekehrt, aber im Türrahmen stand seine Frau.
»Thomas, wer war diese äußerst eigenartige Frau in der Eingangshalle?«
»Ihr Name ist Mrs Pinchbeck«, sagte Dr. Wintermute langsam.
»Ist sie … eine Patientin?«
»Nein. Nein, Liebes, sie ist keine Patientin.«
»Und warum war sie dann hier?«
Dr. Wintermute fiel nichts anderes ein, als die Wahrheit zu sagen. »Professor Grisini hat bei ihr zur Miete gewohnt. Ich habe ihr vor etwa einer Woche einige Fragen gestellt und sie ermuntert, mich aufzusuchen, falls es irgendeine Aussicht … falls ihr irgendetwas einfällt, was Aufschluss gibt über …« Er glättete den Umschlag zwischen seinen Fingern. »Sie weiß nichts über den Verbleib von Clara. Davon bin ich überzeugt. Aber anscheinend sind die beiden anderen Kinder ebenfalls verschwunden, und ich wollte sie nochmals befragen. Mrs Pinchbeck hält es für möglich, dass sie in den Norden aufgebrochen sind. Sie hat mir diesen Umschlag mit einer Adresse gegeben. Ich glaube nicht, dass es tatsächlich Anlass zur Hoffnung gibt …« Dr. Wintermute strengte sich an, um seine Aufregung zu verbergen, doch seine Stimme klang heiser. »Wie dem auch sei, jedenfalls will ich den Kindern noch ein paar Fragen stellen. Ich muss nach Windermere und versuchen, sie zu finden.«
Ada schritt über den Teppich und blieb vor seinem Sessel stehen. Sie streckte die Hand nach dem Umschlag aus. Er reichte ihn ihr und sie griff danach, als wäre er eine Kostbarkeit. »Das ist die Handschrift einer Dame.«
»Das ist mir auch aufgefallen.« Er sprach sehr ruhig und fürchtete, dass Ada bei irgendeinem falschen Wort sogleich wieder auf Distanz zu ihm gehen würde. Kurz war er versucht, nach ihrer Hand zu greifen, doch er beherrschte sich.
Aber dann war sie es, die sich ihm zuwandte. Sie kniete sich hin und legte ihre Hände auf die Armlehne seines Sessels. »Thomas, lass mich mitkommen.«
Er schüttelte den Kopf. »Liebes, das ist eine lange Reise und du warst in letzter Zeit nicht wohlauf. Wenn ich nur … könnte
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