Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
mir, mein Vater möge sich an meinen Geburtstag erinnern. Ich glaube, als ich die Truhe aufgemacht habe, hatte ich bloß vor, mir etwas von dem Stein zu wünschen, nicht, ihn zu stehlen. Aber natürlich habe ich ihn gestohlen. Für den Rest der Nacht versteckte ich ihn unter meiner Matratze. Am nächsten Tag nähte ich dann eine winzige Tasche für den Opal in das Mieder meines Unterkleids. Darin trug ich ihn bei mir wie ein zweites Herz, eines, das heißer und stärker war als mein eigenes.
Im Laufe der folgenden Woche traf das Geburtstagspäckchen meines Vaters ein. Er schickte ein Nähkästchen – ich verabscheute Nähen – und ein Buch mit dem Titel Christliche Gedanken. Ich habe nach einem Brief gesucht, doch es lag nur ein Zettel bei, mit den hastig hingekritzelten Worten: Für Cassandra. Zu ihrem zwölften Geburtstag. Als ich das las, habe ich geweint. Alles in dem Päckchen bewies, dass mein Vater keine Ahnung von mir hatte. Er hatte mein Alter vergessen, mir ein Buch geschenkt, das mir absolut zuwider war, und sein Brief hätte weniger liebevoll nicht sein können. Seit jenem Tag sind viele Dinge passiert, die mir mehr Grund gegeben hätten, zu weinen. Ich habe Verrat kennengelernt. Und Grausamkeit. Aber nichts hat mir das Herz so gebrochen wie jenes Päckchen, das mein Vater mir zu meinem dreizehnten Geburtstag geschickt hat.
Es dauerte ganze neun Wochen, bis Marguerite entdeckte, dass etwas aus ihrer Truhe fehlte. Sie war völlig fassungslos, denn nur wir sechs – ihre besten Freundinnen – hatten die Kette mit dem Opal zu Gesicht bekommen. Es war kein Dieb ins Kloster eingebrochen. Ihre Perlen waren nicht angerührt worden. Aber die Lieblingskette ihrer Mutter fehlte, was bedeutete, dass eine ihrer Freundinnen sie hintergangen hatte. Selbstverständlich hat man alles durchsucht – unsere Truhen und unsere Zellen. Schwester Beata führte mich in ein leeres Zimmer und forderte mich auf, meine Kleidung abzulegen.
Mir war das furchtbar peinlich. Ich genierte mich wegen meiner Figur, die zu entwickelt war für ein Mädchen meines Alters. Ich presste meine Hand auf mein zweites Herz und wünschte mir, dass ich von der Durchsuchung verschont bliebe. Ich werde nie den eigenartigen Ausdruck vergessen, der sich plötzlich auf Schwester Beatas Gesicht legte. ›Natürlich warst du es nicht‹, sagte sie. ›Du bist Marguerites engste Freundin. Du hast erklärt, dass du es nicht warst, und ich glaube dir. Du darfst zurück in deine Zelle gehen.‹
So wurde mein Geheimnis nie entdeckt. Was Marguerite betraf: Sie war untröstlich. Eine ihrer besten Freundinnen hatte sich als Feindin entpuppt und sie wusste nicht, welche. ›Das Einzige, was ich sicher weiß‹, pflegte sie zu sagen, ›ist, dass du es nicht warst.‹ Mir war es ein Rätsel, wie sie so dumm sein konnte. Hatte sie die Nacht nach ihrem Geburtstag vergessen, als sie mir erzählte, dass der Opal ein Wunschstein sei? Warum kam ihr das nicht in den Sinn? Ich denke, womöglich war es reine Sturheit. Sie war wild entschlossen, mir zu vertrauen, allen gegenteiligen Indizien zum Trotz. Ja, sie behandelte mich tatsächlich noch liebevoller als zuvor. Manchmal, wenn sie dabei war, mir das Haar zu bürsten, musste ich das Zimmer verlassen, um mich zu übergeben – aber die Lüge konnte ich nicht hervorwürgen. Es gab Zeiten, da hätte ich beinahe alles gestanden, wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich den Stein zurückgeben müsste, wenn ich die Wahrheit sagte.
Ich konnte mich nicht von ihm trennen.
Also habe ich mein Geheimnis für mich behalten und irgendwann ist Marguerite nach Neufrankreich zurückgekehrt. Sie schrieb mir noch jahrelang. Ich habe nie geantwortet. Bevor sie starb, hat sie mir das kleine Porträt geschickt, das du in der Bibliothek gefunden hast. In Erinnerung. Das hat sie auf die Rückseite geschrieben. Ich habe gerätselt, wie sie das meinte. Vielleicht hat sie Jahre später begriffen, dass ich die Diebin war. Womöglich wollte sie mich an das Unrecht erinnern, das ich ihr angetan habe. Oder aber es war ein Zeichen der Versöhnung. Ich werde es nie erfahren. Ob sie mich gehasst oder ob sie mir verziehen hat – beides ist eine Qual. Siebzig Jahre lang hat Marguerite mich verfolgt.«
»Sie haben sie geliebt«, stellte Lizzie Rose fest.
»Habe ich das?«, fragte Cassandra. »Ich weiß nicht. Sie hat mich geliebt. Sie war der letzte Mensch, der mich je geliebt hat. Danach hatte ich nie mehr einen Freund. Ich hatte Bewunderer,
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