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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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trägt mich davon, dachte sie. Aber sie täuschte sich. Am nächsten Tag ging es ihr besser und Dr. Wintermute erklärte, sie habe sich wieder erholt.
    Ruby verließ selten Cassandras Bett. Selbst wenn sie zu schwach war, um den Kopf zu heben, hörte sie das Schnarchen des Spaniels. Seine Gegenwart beruhigte sie. Der Geruch von Essen verursachte ihr Übelkeit, den des Tieres empfand sie als angenehm: Es war ein kräftiger, erdiger Duft wie der von Stilton-Käse. Der Hund auf dem Bett half ihr, das Ding oben an der Decke in Schach zu halten.
    Oft waren die Kinder bei ihr im Zimmer, wenn sie aufwachte. Lizzie Rose stattete ihr gewissenhaft regelmäßige Besuche ab, und Clara ebenso. Parsefall kam seltener und nie allein. Cassandra glaubte, dass der Junge intuitiver reagierte, er spürte die Gegenwart des Dings an der Decke und mochte es nicht. Im Gegensatz zu den Mädchen wusste er auch nicht, wie er sich in dem Krankenzimmer verhalten sollte. Er ging auf und ab, hampelte herum und fluchte, wobei er nie daran dachte, die Stimme zu senken.
    »Vielleicht hat se ja Lust, ’ne Puppenaufführung zu sehen«, schlug er eines Nachmittags vor.
    Diese Worte rissen Cassandra, die im Halbschlaf vor sich hin gedämmert hatte, aus ihrem apathischen Zustand. Sie blinzelte angestrengt, bis sie ihre Umgebung klar umrissen wahrnahm. Die Kinder hatten es sich vor dem Feuer gemütlich gemacht. Ihre Kleidung war warm und adrett. Cassandra vermutete, dass die neue Garderobe genau wie das Hauspersonal aus London geschickt worden war.
    »Sie hat nix zu tun«, erklärte Parsefall beharrlich. »Das muss öde sein, die ganze Zeit nur so rumzuliegen. Vielleicht gefällt’s ihr, die Puppen zu sehen.«
    Cassandra schluckte den Speichel, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte, und fuhr sich mit der Zunge über das Zahnfleisch. »Die Puppen …«, sagte sie heiser. »Die können tanzen, oder? Ich will sie tanzen sehen.«
    Parsefall rappelte sich auf. »Seht ihr, hab ich’s euch nich’ gesagt? Sie will se sehen. Es gibt jede Menge Tänze: ’nen Hornpipe und ein tanzendes Skelett und ein Ballett –« Er unterbrach sich. »Nur, dass es kein Ballett mehr gibt, weil ich keine Puppe dafür hab. Aber wir können den Hornpipe oder das magnetische Skelett aufführen. Was täten Sie gern sehen? Das Skelett is’ besser.«
    »Ich glaube nicht«, wandte Lizzie Rose ein, »dass das tanzende Skelett das Richtige –«
    »Aber es ist besser als der Hornpipe!« Parsefall ließ sich nicht beirren. »Ihr machen ein Friedhof und ’n paar Knochen schon nichts aus.«
    »Knochen«, wiederholte Cassandra. »Knochen machen mir nichts.« Sie schloss die Augen und die Müdigkeit übermannte sie. Die Stimmen der Kinder schienen anzuschwellen und wurden dann leiser. Sie schlief. Als sie wieder erwachte, hatten die drei gegenüber dem Bett eine Bühne aufgebaut. Das gemalte Kulissenbild zeigte ein paar Grabsteine, und Lizzie Rose stimmte gerade eine kleine Geige.
    Parsefall deutete auf Cassandra. »Seht ihr, sie is’ wach. Sie hat nur ihre Augen ausgeruht.«
    »Im Liegen kann sie nichts sehen«, stellte Clara fest. »Wir müssen sie aufrichten.«
    Schon bei dem Gedanken daran stöhnte Cassandra auf. Es tat weh, bewegt zu werden, insbesondere von den Kindern, weil ihnen die Kraft fehlte, sie mit einer schnellen Bewegung zu verlagern. Jedoch fassten weder Clara noch Lizzie Rose das Stöhnen als Protest auf und so zerrten und schoben sie, bis Cassandra mit einem Berg Kissen hinter dem Rücken aufrecht saß.
    Dann nahmen die Kinder ihre Plätze ein. Lizzie Rose klemmte die Geige unter das Kinn und hob den Bogen. Parsefall verbarg sich hinter dem Kulissenbild. Das magnetische Skelett hüpfte auf die Bühne, eine groteske kleine Gestalt mit einem anzüglichen Grinsen.
    Cassandra ertappte sich dabei, wie sie zurückgrinste. Es amüsierte sie, dass der Junge es wagte, sich über das Ding an der Decke lustig zu machen. Als sich die Beine vom Torso lösten und der allein weiter herumhüpfte, wurde ihr Grinsen noch breiter; als der knochige Kiefer ins Leere schnappte, klapperte sie solidarisch mit den Zähnen, und sobald der Tanz zu Ende ging, rief sie: »Zugabe!« Doch bevor es dazu kam, blieb ihr Blick an Clara hängen.
    Das Mädchen klatschte begeistert. Es saß kerzengerade da und ein Lächeln spielte um seine Lippen. Trotzdem war ihm elend zumute, daran hatte Cassandra nicht den geringsten Zweifel.
    »Was ist los mit dir?«, fuhr sie Clara an.
    Clara zuckte zusammen.

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