Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
Grisini. Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung, drehte sich auf dem Absatz um und eilte davon. Die beiden Polizisten schlugen die entgegengesetzte Richtung ein und steckten die Köpfe zusammen.
»Sie können Grisini nich’ leiden«, stellte Parsefall fest. »Sie glauben, er schwindelt ihnen was vor.«
Lizzie Rose war mit ihren Gedanken woanders. »Ich hoffe, sie finden Clara«, sagte sie. »Es kommt mir herzlos vor, einfach so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen.«
»Ich find das gar nich’ herzlos«, widersprach Parsefall. »Und ich hab Hunger.«
Lizzie Rose runzelte die Stirn über seine Bemerkung, aber sie war ebenfalls hungrig. Sie griff in ihre Tasche. »Hier hast du drei Pence«, sagte sie. »Du könntest Milch holen und für jeden von uns einen Wecken zu einem Penny. Und nimm die Hunde mit.«
»Warum muss ich die mitnehmen«, maulte Parsefall wie jeden Morgen.
»Weil du es ansonsten aufwischen musst, wenn sie eine Sauerei machen. Ich habe gestern geputzt«, erklärte Lizzie Rose. »Und weil ich diejenige bin, die Mrs Pinchbeck jetzt nach ihrem Krampfanfall sehen will.«
Das Argument setzte Parsefall schachmatt, und er wusste es. Im Gegensatz zu Lizzie Rose hatte er kein Händchen im Umgang mit Mrs Pinchbecks Gejammer. Er ging seine Jacke holen. Ruby sprang freudig um seine Füße herum.
»Und trag Ruby die Treppe runter!«, befahl Lizzie Rose. »Mit ihren Krallen rutscht sie auf den Stufen immer aus und dann erschreckt sie sich so, der arme Liebling.«
Parsefall stieß einen missmutigen Laut aus, aber er nahm den Hund auf den Arm. Lizzie Rose kehrte in ihre behelfsmäßige Schlafkammer zurück. Sie machte das Bett und zog die restlichen Unterröcke an. Dann ging sie hinunter, um nach Mrs Pinchbeck zu sehen.
Die Stiege war dunkel und steil. Der verstorbene Mr Pinchbeck hatte ein Tau als Handlauf an die Wand geschraubt. Da Mr Pinchbeck jedoch bereits seit neun Jahren tot war und der Putz schon von der Wand bröckelte, hatte Lizzie Rose wenig Vertrauen in diese Vorrichtung. Vorsichtig stieg sie hinunter, machte den nächsten Schritt immer erst, wenn sie mit beiden Füßen auf einer Stufe stand. Schließlich klopfte sie unten an Mrs Pinchbecks Wohnzimmertür.
»Komm rein, Herzchen!«
Mrs Pinchbeck lag auf dem Sofa und überflog eine Zeitung. Sie trug einen mohnroten Morgenmantel und eine schmutzige Haube, die mit grünen Bändern verziert war. Ganz offensichtlich hatte sie die Ginflasche gefunden und ihre Laune war besser, als Lizzie Rose erwartet hatte. Sie musterte die Vermieterin aufmerksam. Mrs Pinchbeck mit ein wenig Gin intus war munter und übermütig, während Mrs Pinchbeck mit zu viel Gin intus dazu neigte, in aller Ausführlichkeit von dem Tag zu erzählen, an dem Titus Pinchbeck, der einzige Mann, den sie je wirklich geliebt hatte, von einem Omnibus überrollt worden war.
Mrs Pinchbeck warf die Zeitung beiseite und griff sich ans Herz. »Ach, Kind!«
Das war alles, was Mrs Pinchbeck sagte, doch für Lizzie Rose, die im Theatermilieu aufgewachsen war, genügte es. An dem tiefen, nebelhornähnlichen Klang von Mrs Pinchbecks Stimme erkannte sie, dass sich ein Schauspiel ankündigte – mit Mrs Pinchbeck in der Rolle der Heldin. Mit leichten, zierlichen Schritten ging Lizzie Rose über den abgewetzten Teppich und sank neben dem Sofa auf die Knie.
Mrs Pinchbeck streckte ihre Hand nach Lizzie Rose aus. Die griff danach und hielt sie an ihre Wange. Die beiden wandten sich einander leicht zu, sodass sie einem imaginären Zuschauer am anderen Ende des Wohnzimmers eine Ansicht im Dreiviertelprofil boten.
»Liebe Mrs Pinchbeck«, hauchte Lizzie Rose, »geht es Ihnen wirklich gut?«
»Ach, mein armes Kind«, erwiderte Mrs Pinchbeck, »ich weiß nicht, ob es mir je wieder gut gehen wird. Die Polizei im Haus, und das schon am frühen Morgen!« Sie senkte ihre Stimme um eine halbe Oktave. »Und, oh Kind, wie die Männer mit mir gesprochen haben!«
Lizzie Rose umfasste Mrs Pinchbecks Hände. »Wie konnten sie es wagen, gnädige Frau!«, rief sie aus. Ihre Stimme bebte vor Entrüstung.
»Das frage ich mich auch«, sagte Mrs Pinchbeck düster. »Ach, es war empörend … so, als wäre ich gewöhnlich. « Sie ließ sich zurück auf das Sofa fallen. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf und sie richtete sich, auf den Ellbogen gestützt, auf. »Mein liebes Kind! Diese niederträchtigen Unholde haben dir doch hoffentlich keine Gewalt angetan?«
»Nein, nein, durchaus nicht«,
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