Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
Aalpastete, Würstchen und Pudding mit Sirup und Nierenfett. Eine Woge der Übelkeit überkam ihn und er befürchtete, dass er sich vielleicht erbrechen müsste.
Er wälzte sich hin und her, dann setzte er sich im Bett auf und schluckte schwer. Er hasste es, sich zu übergeben. Es war nicht der gallige Geschmack oder die Sauerei, was er verabscheute, sondern die Tatsache, dass er gezwungen wurde, etwas herzugeben, was rechtmäßig ihm gehörte. Er öffnete den Mund und hoffte, rülpsen zu können, aber er wurde nur mit einem schwachen Schluckauf belohnt.
Er fragte sich, ob Lizzie Rose wohl wach war. Er wusste, dass sie ihm böse war, und er konnte es ihr nicht wirklich verdenken. Sie hatte sich bemüht, ihn zu trösten, nachdem er die Abfuhr erhalten hatte, doch ihr Mitleid war wie Salz in der Wunde gewesen. Den ganzen Heimweg über hatte er sich ihr gegenüber ekelhaft verhalten. Und zu Hause hatte Ruby – der verdammte Mistköter – Lizzie Rose abgelöst und war ihm überallhin mit traurigen Augen nachgetrottet und hatte an seinen Hosenbeinen gescharrt. Er hatte den Hund verflucht und mit dem Fuß nach ihm getreten. Und da war Lizzie Rose der Kragen geplatzt. Sie hatte ihn einen abscheulichen, brutalen Rohling genannt und er hatte zurückgeschimpft, erleichtert, dass sie ihn endlich nicht mehr bemitleidete. Der Abend hatte mit gegenseitigen Beleidigungen geendet, und als sie zu Bett gingen, herrschte eisiges Schweigen zwischen ihnen.
Parsefall seufzte und wünschte, er könnte seinem Magen genug vertrauen, um sich wieder hinzulegen. Das Zimmer war kalt und er fühlte sich müde. Er wickelte die dickste Decke um sich wie einen Kokon. Draußen jammerte eine Katze. Parsefall fröstelte ein bisschen. Wie spät es wohl war? Das Feuer im Kamin war heruntergebrannt, aber der Schein der Straßenlaterne fiel durch die rußverschmutzte Scheibe. Im Dämmerlicht wirkte Grisinis alter Garderobenständer wie ein buckliges greises Weib. Parsefall ließ den Bick durch den ganzen Raum wandern, um sich zu vergewissern, dass sich nichts im Schatten bewegte.
Clara starrte ihn an.
Parsefall spürte, wie sich ihm die Härchen an den Armen aufstellten. Clara lag auf dem Kaminsims, ihr Kopf war ihm zugewandt, und der Schein der Straßenlaterne fing sich in ihren Glasaugen. Es war nur eine Sinnestäuschung, die das Licht hervorrief, nichts weiter. Doch als er erneut zum Kaminsims hinüberschaute, beschlich ihn wieder das Gefühl, dass sie wach war. »Lass mich in Ruhe«, flüsterte er, aber sie blickte ihn unverwandt an.
»Zum Teufel mit dir«, wisperte Parsefall. »Ich muss dich ja nich’ anschauen.« Er drehte dem Kamin den Rücken zu und schlug das obere Ende seiner klumpigen Matratze unter, um seine Schulter zu stützen und eine halb liegende Position einzunehmen. Er schluckte, schloss die Augen und glitt in den Schlaf.
In seinem Traum hörte er ein rhythmisches Geräusch, regelmäßig wie das Zirpen einer Grille. Es war das Knarren eines Schaukelstuhls und darin saß Grisini. Der Puppenmeister schaukelte vor und zurück, leise lächelnd. Parsefall zuckte mit einem Aufschrei zusammen und zwang sich, aufzuwachen.
Er setzte sich im Bett auf. Grisini war nicht da. Er lauschte, ob Lizzie Rose wohl von seinem Schrei aufgewacht war, aber aus ihrer Schlafkammer drang kein Laut. Kurz überlegte er, sie zu rufen, erinnerte sich dann an ihren Streit und biss die Zähne zusammen, um nicht zu wimmern.
Grisini war tot. Darauf zählte er, darauf musste er sich besinnen. Grisini war tot und es gab keinen Schaukelstuhl im Zimmer. Parsefall erinnerte sich an Grisinis Schaukelstuhl. Eines Tages war er kaputt gegangen und Grisini hatte ihn auseinandergebrochen und die Einzelteile ins Feuer geworfen. Parsefall drehte sich um und schaute in die verglimmenden Kohlen – beinahe rechnete er damit, dort die brennenden Holzstücke zu sehen.
Sein Blick wanderte hinauf zum Kaminsims. Clara starrte ihn noch immer an. Der Blick ihrer Glasaugen hatte etwas Durchdringendes, so als könnte Clara durch seine Haut hindurch die Albträume sehen, die er mit sich herumtrug. Eine Woge des Zorns flammte in ihm auf, stärker als seine Angst, und er schälte sich aus seinem Kokon. Er würde sich das nicht länger gefallen lassen und Clara in Grisinis Zimmer an den Bettpfosten hängen. Vielleicht sollte er sie gleich in die Weidentruhe schließen. Parsefall war sich ziemlich sicher, dass sie das furchtbar finden würde. Oder noch besser: Er würde sie ins Feuer
Weitere Kostenlose Bücher