Clara
später. Er hatte noch einen Notfall.«
»Notfall in ’ner Zahnarztpraxis!« tippte sich Christian an die Stirn.
»Sei froh, daß du so gute Zähne hast. Von Zahnschmerzen könnte ich dir ein Lied singen. Wie ist das jetzt mit dem Kaffee?«
Er grinste. »Okay. Meinen Schlafsack kann ich auch gleich noch runterholen.« Damit schob er sich an seiner Mutter vorbei und setzte sich auf die Eckbank. »Liebst du diesen Typ eigentlich?«
Gabi goß den Kaffee ein und legte die Hände um ihren Becher. »Lieben? Ach Gott, manchmal frage ich mich, ob es das überhaupt gibt, die große Liebe, die einzig wahre. Ich mag ihn sehr gern, und ich schlafe gern mit ihm. Es macht mir viel mehr Spaß als früher …«
»Sex!« schüttelte Christian heftig den Kopf. »Geht es bei euch eigentlich immer nur darum? Ist doch total öde.«
Gabi mußte lachen. »Öde? Und das aus dem Mund eines Siebzehnjährigen. Ihr seid schon eine komische Generation, aber wahrscheinlich haben wir es euch auch in der Hinsicht zu leicht gemacht. Als wir so alt waren, hatten wir kaum was anderes im Kopf.«
Christian trank einen Schluck und sah sie eindringlich an. »Und wie hast du das mit deinem Glauben vereinbaren können?«
Gabi merkte, daß ihr die Röte in die Wangen stieg. »Meine unkeuschen Gedanken? Na ja, ich hab schon ein bißchen darunter gelitten, aber so schlimm war ich ja nicht. Der erste Mann, mit dem ich geschlafen habe, war dein Vater.«
»Hast du dich hinterher nicht schmutzig gefühlt?«
Sie atmete scharf ein. »Schuldig habe ich mich gefühlt, aber ich glaube, die Beichte hat mir dann ein bißchen geholfen.«
Christian nickte, aber sie sah ihm an, daß er damit nicht zufrieden war, und dann kam’s auch: »Heute beichtest du nicht mehr, Mutter, oder? Deinen Ehebruch zum Beispiel.«
Gabi bemühte sich, gelassen zu bleiben, trank erst noch einmal. »Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich bin geschieden und kann tun und lassen, was ich will.«
»Vor Gott gibt es keine Scheidung!«
Das wischte sie mit einer Handbewegung weg. »Für die Kirche gibt es keine Scheidung. Aber selbst innerhalb der Amtskirche gibt es mittlerweile Strömungen, die das ganz anders sehen. Man ist da viel toleranter …«
Er ließ sie nicht ausreden. »Die Amtskirche interessiert mich nicht! Ich will echt nicht mit dir streiten, Mama. Mir geht es einzig und allein um meinen Glauben, um die Inhalte. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sich alles verändert hat, seitdem ich meinen Weg kenne. Ich habe das Gefühl, daß ich jetzt erst anfange, wirklich zu leben.«
»In Keuschheit?« konnte sie es sich nicht verkneifen.
»Davon rede ich doch jetzt gar nicht«, fuhr er hitzig auf. »Aber ja, durchaus, bis ich die richtige Partnerin gefunden habe, die Frau, die für mich bestimmt ist, die Gott für mich vorgesehen hat. Im Augenblick sind andere Dinge viel wichtiger: meine Hingabe an den Herrn, Jesu Weg nachvollziehen, das Wort leben und unter die Menschen streuen. Das ist meine Aufgabe, in der ich ganz aufgehe.«
Sie fröstelte. »Willst du ins Kloster?«
»Blödsinn! Im Gegenteil, ich will mitten im Leben, mitten in dieser Welt stehen.«
»Ist es das, was ihr auf diesen Seminaren lernt?«
»Nicht lernen. Wir wissen! Wir praktizieren. Mama, du bist doch selbst gläubige Katholikin. Du mußt doch verstehen, wovon ich rede.«
»Ich sage ja gar nicht, daß ich es nicht verstehe. Ich freue mich auch darüber. Deine Veränderung ist nur so plötzlich. Oder vielleicht kommt mir das auch nur so vor. Wir haben schrecklich lange nicht mehr miteinander geredet. Was macht ihr denn da so auf diesen Seminaren?«
»Beten, gemeinsame Einkehr, unseren Glauben erleben.« Er nahm ihre Hand und lächelte. »Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist. Da brauchst du keine Drogen.«
Sie lächelte zurück. »Doch, ich kann mir das vorstellen. Damals als wir mit der Schule zu Exerzitien in Maria Laach waren, das war schon ähnlich …«
»Und dann, Mama?«
Gabi hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Irgendwie ging das normale Leben weiter. Ich habe mir nie so viele Gedanken gemacht wie du. Es waren auch noch andere Zeiten.«
Christian suchte ihren Blick. »Das ist sehr schade.«
Sie entzog ihm ihre Hand. »Ich glaube einfach nicht, daß man durch Beten die Welt verändern kann.«
Er seufzte ergeben. »Na gut, dann laß uns erst mal von was anderem reden. Von tätiger Nächstenliebe zum Beispiel. Die Arbeit im Altenheim. Du kannst dir gar nicht
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