Clarissa Alaska-Saga 04 - Allein durch die Wildnis
Kopf und wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton über ihre Lippen. Die Hand der Fremden drückte sie sachte auf ihr Lager zurück. Von ihrem Gesicht glitt ihre Hand über ihre vollen Brüste und den gewölbten Bauch, teilte ihre Beine und blieb auf ihrem rechten Knie liegen. Auf Englisch sagte die Fremde: »Jetzt ist es gleich so weit, kleine Schwester! Hab keine Angst! Ich bleibe bei dir, bis das Kind seinen ersten Schrei getan hat.«
Die Wehen kehrten zurück, und Clarissa bäumte sich unter den Händen der Fremden auf. Sie spürte einen Finger an ihrem Mund, schmeckte ein übel riechendes Kraut und wollte es ausspucken, doch der Finger klebte fest auf ihren Lippen, und sie brauchte ihre ganze Kraft, um die Wehen zu ertragen und ihr Baby nach unten zu pressen. Ihr Kind war unterwegs, das spürte sie jetzt deutlich, und trotz der Schmerzen, die sich plötzlich wieder meldeten, empfand sie ein unbeschreibliches Glücksgefühl. »Emily!«, flüsterte sie.
Der Finger verschwand von ihren Lippen, und das seltsame Kraut tat seine Wirkung. Vor ihren Augen verschwamm die Umgebung, das Feuer verkümmerte zu einem hellen Fleck im Halbdunkel. Wie in Trance erlebte sie eine weitere Wehe und fand gerade noch die Kraft, ein letztes Mal zu pressen, bis ihr Baby den Weg in die Freiheit fand und sie in einem dunklen Taumel versank. Sie merkte nicht, wie die Fremde die Nabelschnur des Kindes durchtrennte, bekam ihr Kind gar nicht zu sehen und schien meilenweit von ihm entfernt zu sein, als es seinen ersten Schrei tat. Gib mir mein Baby, wollte sie rufen, gib mir Emily, doch wieder kam nur ein Krächzen über ihre Lippen, und als sie es schaffte, noch einmal die Augen zu öffnen, beobachtete sie einen Schatten, der sich immer weiter von ihr entfernte, noch einmal schemenhaft vor dem Ausgang zu sehen war und dann im Schneetreiben verschwand.
»Dezba!«, krächzte Clarissa. Sie schaffte es irgendwie, sich auf die Unterarme zu stemmen, wälzte sich auf die Seite und versuchte zu kriechen, sank aber sofort wieder zurück und verlor das Bewusstsein. »Die indianische Hexe! Sie hat mein Baby gestohlen!« Dann wurde es endgültig schwarz um sie, sie schloss die Augen und versank in einem tiefen und bedrohlichen Traum.
36
Clarissa erwachte aus ihrer Bewusstlosigkeit und blieb in dem Albtraum gefangen, der sie die letzten Stunden gequält hatte. »Emily!«, rief sie verzweifelt. »Emily! Wo bist du?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie wurde von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt. Ihr Baby war weg! Dezba hatte es ihr gestohlen! Sie war während der Geburt nur an ihrer Seite geblieben, um an ein gesundes Kind zu kommen, und hatte sie nach der Entbindung schmählich im Stich gelassen. Ihr Mitgefühl galt nur dem Baby. Sie war eine unmenschliche Hexe, die eines der grausamsten Verbrechen begangen hatte, das man sich vorstellen konnte, ein unschuldiges Baby geraubt hatte, ohne der leiblichen Mutter die Gnade zu erweisen, es einmal zu küssen oder zu streicheln. Als wäre Clarissa nur dafür da gewesen, ihr ein Kind zu gebären, und hätte keinerlei Anrecht auf das Neugeborene.
Sie wollte aufstehen und nach dem Baby suchen, aus der Höhle laufen und die Hexe durch das Schneetreiben verfolgen, doch noch war sie zu schwach und schaffte es nicht einmal, sich auf ihre Unterarme zu stemmen. Erschöpft schloss sie die Augen, die Muskeln schwach von der Anstrengung und der schwierigen Geburt und unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Wieder versank sie in dunklem Nebel, der ihren halb nackten Körper fest umschloss und ihr kaum noch Raum zum Atmen ließ. Das Feuer war längst heruntergebrannt. Im Halbschlaf suchte sie ihre Unterwäsche und ihre Wollhose, griff jedoch ins Leere und ergab sich weinend ihrem Schicksal.
Vielleicht wäre sie in der eisigen Kälte, die plötzlich in der Höhle herrschte, jämmerlich erfroren, doch plötzlich spürte sie etwas Warmes an ihren Schenkeln, das dichte Fell eines Wolfs, der sich vorher geschüttelt haben musste, weil kaum noch Schnee auf seinem Rücken klebte. Sie glaubte, die Augen zu öffnen und die hagere Gestalt des Geisterwolfs zu sehen. »Bones!«, rief sie. »Du musst mir helfen, Bones! Dezba … die Hexe … hat mein Baby!«
Doch Bones kümmerte sich nur um sie. Er sah wohl, dass die Huskys an der Führungsleine festhingen und sie nicht erreichen konnten oder gar nicht merkten, in welcher Gefahr sie schwebte. Bones wusste es. Er war ein Geisterwolf, ein Schutzgeist mit
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