Clarissa - Wo der Himmel brennt
Schlitten festhalten, um nicht von der Ladefläche geschleudert zu werden, und in den Kurven konnte sie froh sein, wenn die Kufen noch festen Halt hatten. Wahrscheinlich meint er es nur gut mit dir, dachte sie, du hast ihm gesagt, dass du so schnell wie möglich über den Pass willst, und er hält sich daran. Jedes Wort der Kritik von ihr hätte ihn gedemütigt und noch mehr verunsichert. Indianer, so hatte sie herausgefunden, selbst die jungen, die sich wie Weiße anzogen, reagierten sehr empfindlich, wenn man ihre Fähigkeiten bezweifelte oder sie kritisierte, und Tommy machte nicht den Eindruck, als sei er eine Ausnahme.
Vor einer besonders starken Steigung hielt Tommy an. Vor ihnen kletterte der Trail in engen Serpentinen eine Anhöhe hinauf und verschwand weiter oben in waberndem Dunst. Hier lagen besonders viele tote Pferde, ein furchtbarer Anblick, der Clarissa das Blut in den Adern gefrieren ließ, und ein zusätzliches Hindernis für den Anstieg mit einem Hundeschlitten. Obwohl der stürmische Wind den Schnee über die Kadaver wehte, und man die Überreste wegen der Kälte nicht mehr wittern konnte, wichen einige Huskys zurück und zerrten zur Seite, auf der Suche nach einem anderen Trail. Selbst Taku blickte unsicher den Hang hinauf.
Auch ohne dass Tommy sie aufforderte, wusste Clarissa, dass sie eine solche Steigung nur bewältigen konnten, wenn sie vom Schlitten stieg und ihn und die Hunde unterstützte. Der Trail war zu steil und schmal, und der Wind tobte ihnen mit der ungestümen Wucht eines Blizzards entgegen. Noch bevor er etwas sagen konnte, war sie hinter dem Schlitten, den Kopf hatte sie gegen den Wind gesenkt. Sie packte die Haltestange mit beiden Händen und bohrte ihre Stiefelspitzen so tief in den Schnee, dass sie sich abstoßen konnte. Tommy brauchte keine Befehle zu geben, tat es aber dennoch. Während er den Anker aus dem Schnee zog, rief er: »Vorwärts, Taku! Den verdammten Hügel wirst du doch schaffen! Nun macht schon, ihr faulen Biester! Lauft, verdammt!«
Taku stemmte sich mit seinem ganzen Körper ins Geschirr. Er riss die anderen Hunde allein durch seine Körpersprache und seine Anstrengungen mit, hätte es aber ohne Clarissas und Tommys Hilfe kaum geschafft. Der Trail war so steil und gefährlich, dass sie sich mit ihrer ganzen Kraft gegen den Schlitten stemmen und bei jeder Biegung höllisch aufpassen mussten, damit er nicht zur Seite ausbrach oder abrutschte. Mit jedem Windstoß, der von der Anhöhe herabkam, ergoss sich eine Ladung eiskalten Schnees über sie und raubte ihnen und den Huskys sekundenlang die Sicht und den Atem. Wie ein Hund schüttelte sich Clarissa nach jedem Schauer, doch es gelang ihr nicht immer, ihre Augen, die Nase und den Mund freizubekommen, und manchmal schnaubte sie wütend, um wenigstens einen schnellen Atemzug tun zu können, bevor der Wind sie mit einer weiteren Ladung überraschte. »Go! Go!«, rief Tommy neben ihr, ein Indianer, der längst seine eigene Sprache verlernt hatte und zu einem halben Weißen geworden war. »Nicht aufgeben, Taku! Los … weiter!«
Sie brauchten keine Schneeschuhe. Der Boden war auf der Steigung so hart gefroren, dass sie lediglich aufpassen mussten, auf dem vereisten Untergrund nicht den Halt zu verlieren. Der Wind stellte sich ihnen mit kräftigen Böen entgegen und machte ihnen schwer zu schaffen, obwohl er nicht einmal Sturmstärke erreicht hatte. Aber auf dem Hang hatte er freie Bahn und schien regelrecht Vergnügen daran zu haben, ihnen das Leben schwer zu machen. Dazu kam die frostige Kälte, die mit der Dämmerung auf das Land herabsank.
Oben angekommen verschnauften sie minutenlang. Im Blick des Indianers lag ein gewisser Respekt, als er Clarissa ansah, aber auch ein Ausdruck, den sie nicht einzuordnen wusste, jedenfalls jetzt nicht, da sie noch unter der Anstrengung des Aufstiegs litt und kaum fähig war, ihre eigenen Gefühle richtig zu bewerten. Sie ahnte nur, dass sie vorsichtig sein musste. Nicht, weil ihr der junge Indianer zu nahetreten könnte, sondern weil er in vieler Hinsicht wie ein Weißer reagierte. Ungestüm, aufbrausend, sich selbst überschätzend, nicht von Tugenden wie Geduld, Gelassenheit und Bescheidenheit bestimmt, wie Clarissa sie bei vielen älteren Indianern schätzen gelernt hatte. Warum ihr das ausgerechnet in diesem Augenblick auffiel, wusste sie allerdings nicht.
Vielleicht lag es an der großen Ungeduld, die er an den Tag legte, als er sie auf den Schlitten zurückschickte und
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