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Clarissa

Clarissa

Titel: Clarissa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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noch nie so viel und abwechslungsreich gegessen wie hier.
    Als Pagnell ihren Vater ermordete, hatte sie alles getan, was in ihrer Macht stand, um zu überleben. Überleben! Das war ein unbekanntes Wort für Raine und seine mächtigen Brüder. Krieg, Rache, Ehre, diese kindischen Spiele, sich gegenseitig zu entführen, waren Dinge, die in ihrem Leben nie existiert hatten.
    »Darf ich mich zu dir setzen? « fragte Jocelin. »Möchtest du gern deine Gedanken mit mir teilen? «
    Ihre Augen wurden feucht. »Ich stellte mir Raine gerade hinter einem Pflug vor. Müßte er sich sorgen, ob seine Felder auch Früchte tragen, bliebe ihm keine Zeit, an Rache zu denken. Und wenn Chatworth hinter einem Gespann von Ochsen herginge, hätte er keine Kraft mehr, Raines Schwester zu entführen. «
    »Ah, mache jeden gleich«, sagte er. »Wie es König Heinrich am liebsten hätte. Gib alle Gewalt in die Hände eines Mannes, damit er sie mit niemandem teilen soll. «
    »Du sprichst wie Raine«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ich dachte, du stündest auf meiner Seite. «
    Jocelin lehnte sich gegen einen Felsblock und lächelte. »Ich nehme für keinen Partei. Ich kenne beide Seiten der Münze, und die Armut der Niedriggeborenen sagt mir genausowenig zu wie die… die Dekadenz der höheren Gesellschaftsschicht. Natürlich gibt es Leute dazwischen. Am liebsten wäre ich ein reicher Kaufmann, ein Käufer und Verkäufer von seidenen Stoffen, und mästete mir einen Bauch an. «
    »In Moreton gab es auch reiche Kaufleute; doch sie sahen nicht wie glückliche Menschen aus. Sie lebten in steter Furcht, daß sie ihr Geld verlieren könnten. «
    »So wie Raine Angst hat, er könnte seine Ehre verlieren? «
    Clarissa lächelte ihn an, weil sie merkte, daß er eine bestimmte Absicht verfolgte. »Was wolltest du mir beibringen? «
    »Daß wir alle verschieden sind und nicht ganz gut oder ganz böse. Wenn du möchtest, daß Raine deine Lebensart begreift, hab Geduld mit ihm. Mit Gezänk erreichst du wenig. «
    Sie lachte. »Zänkisch, wie? Vielleicht bin ich ein bißchen laut. «
    Jocelin antwortete mit einem übertriebenen Stöhnen: »Begreifst du eigentlich, daß du genauso stur bist wie er? Ihr seid beide überzeugt, daß eure Ansichten die einzig richtigen sind. «
    Clarissa dachte einen Moment nach. »Warum glaubst du, daß ich ihn liebe, Joss? Ich weiß, er ist herrlich anzusehen, aber das gilt auch für dich. Warum würde ich Raine lieben, wenn ich weiß, daß aus dieser Liebe niemals etwas werden kann? Bestenfalls kann ich hoffen, daß er mich als Unterhalter einstellt, um für seine Frau und Kinder Musik zu machen. «
    »Wer weiß, was uns zur Liebe treibt? « sagte Joss mit einem verlorenen Ausdruck in seinen Augen.
    »Mir ist, als hätte ich Raine schon gekannt, ehe ich ihn kennenlernte. Auf dem Weg in den Königsforst dachte ich immer nur daran, wie sehr ich die Edelleute haßte; aber als ich Raine sah… « Sie lachte. »Ich habe mich wirklich bemüht. «
    »Komm, laß uns zurückgehen. Ich bin sicher, Raine hat Arbeit für uns, die wir erledigen sollen. Und wir sollten daran denken, daß er Zuspruch braucht und nicht nur Vorträge, was für ein Esel er doch ist. «
    »Ich werde mich bemühen«, sagte sie und nahm seine Hand, die er ihr reichte, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
    Im Schatten der Bäume stand eine Frau, die jeder vergessen zu haben schien — Blanche. Ihr Gesicht verzerrte sich zur häßlichen Fratze, als sie beobachtete, wie Jocelin Clarissas Hand nahm. In den letzten Tagen hatten Clarissa und Raine miteinander geturtelt, wie es nur ein Liebespaar vermochte. Sie schienen zu glauben, die Wände eines Zeltes gäben ihnen Gewähr für ein Privatleben; doch ihre beiden Stimmen waren so laut, daß sie selbst durch Steinmauern gedrungen wären. Die Leute im Lager wetteten, wer bei ihren Auseinandersetzungen Sieger bleiben würde, und behaupteten, der Junge ließe sich nicht unterbuttern. Sie applaudierten, als Clarissa sagte, das gemeine Volk sei viel zu sehr mit Arbeit geplagt, als daß es Gespräche über Ehre führen könne.
    Aber es gab auch Dinge, die das Lagervolk nicht hörte, Dinge, die nur Blanche vernahm, wenn sie das Ohr an die Zeltwand legte: daß Alexander zur Hexe erklärt worden sei, weil ein Mann Lust nach ihm empfand; daß Alexander Raine liebte, und in einer Nacht hatte sie die unmißverständlichen Geräusche eines Liebesakts gehört.
    Sie hatte einmal einen guten Posten in einem Schloß gehabt — in Edmund

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