Claudius Bombarnac
detailliren! Ehe es Nacht wird, begebe ich mich nach der andern Plattform, um noch einen Blick auf die umgebende Landschaft zu werfen. Eine Stunde Cigarre wird hinreichen, bis zum Bahnhof Kizil-Arwat zu gelangen, wo der Zug sich eine Zeit lang aufhalten soll.
Als ich von dem zweiten Wagen nach dem ersten hinübergehe, kreuze ich mich mit dem Major Noltitz. Ich trete achtungsvoll bei Seite. Er grüßt mich mit der Gewandtheit, die den Russen aus besseren Kreisen auszeichnet. Ich grüße natürlich wieder. Unsere Begegnung beschränkt sich zwar auf diesen Austausch von Höflichkeiten, doch der erste Schritt ist ja nun gethan.
Popof befindet sich jetzt nicht in seinem Coupé. Da die Thür des Packwagens offen steht, schließe ich, daß unser Zugführer zum Maschinenführer gegangen sein wird, um mit diesem zu sprechen. Links im Packwagen steht der geheimnißvolle Kasten. Da es erst um einhalbsieben Uhr ist, ist es noch zu hell, als daß ich wagen könnte, meine Neugier zu befriedigen.
Der Zug fliegt jetzt durch die reine Wüste, den Kara-Korum, die »Schwarze Wüste«. Diese erstreckt sich jenseits Khiva durch den ganzen Theil von Turkestan, zwischen der persischen Grenze und dem Laufe des Amu-Darja. In Wirklichkeit ist der Sand des Kara-Korum ebensowenig schwarz wie das Schwarze Meer schwarz, so wenig wie das Weiße Meer weiß, wie das Rothe Meer roth und der Gelbe Fluß gelb ist. In der Landschaft muß das Auge auf Farben achten. Ist die Geographie nicht auch Landschaft?
Es hat hier den Anschein, als ob diese Wüste ehemals von einem großen Centralbassin eingenommen gewesen wäre. Das ist ausgetrocknet, wie der Caspisee austrocknen wird, und diese gewaltige Verdunstung erklärt sich durch die energische Wirkung der Sonnenstrahlen auf diesen Gebieten, die sich zwischen dem Ural und dem Hochplateau von Pamir ausdehnen.
Der Kara-Korum besteht aus sandigen Dünen mit eigenthümlicher Bewegung, die von den Hauptwinden immer weiter vorgeschoben werden. Die »Barkanen« – so nennen sie die Russen – wechseln in der Höhe von zehn bis dreißig Metern. Sie bieten den furchtbaren Nordstürmen breite Angriffsflächen und werden durch diese allmählich nach Süden verdrängt; man fürchtet deshalb ernstlich für die Sicherheit der Transcaspischen Bahn. Es handelt sich also darum, diese in wirksamer Weise zu schützen, und der General Annenkof wäre gewiß in arge Verlegenheit gekommen, wenn die vorsorgliche Natur, während sie ihm ein günstiges Terrain zur Anlegung des Schienenweges darbot, ihm nicht auch Mittel an die Hand gegeben hätte, der Ortsveränderung der Barkanen Halt zu gebieten.
Auf der Rückseite der Dünen wachsen nämlich vielfach stachliche Büsche, Gruppen von Tamarinden, Sterndisteln und jenes »Haloxylonamodendron«, den die Russen minder wissenschaftlich »Saksaul« nennen. Seine tiefreichenden, kräftigen Wurzeln sind besonders geeignet, den Boden festzuhalten, wie der »Hippophaerhamnoïdes«, ein Busch aus der Familie der Zwergweiden, der im Norden Europas zur Bindung des Sandes verwendet wird.
Den Anpflanzungen der Saksauls haben die Linieningenieure an verschiedenen Stellen noch eine Bekleidung von gemahlenem Thon und Lettig und längs der bedrohtesten Partien eine Palissadenlinie hinzugefügt.
Gewiß eine nützliche Vorsicht, doch wenn damit die Strecke geschützt ist, so sind es die Reisenden noch nicht, wenn der Sand wie Graupelkörner umherfliegt und der Wind die weiße Decke des Bodens, die sich durch Ausschwitzung bildet, loslöst und forttreibt.
Es ist ein Glück, daß wir jetzt nicht die Zeit der größten Hitze haben, und ich würde Niemand rathen, sich in den Monaten Juni bis Mitte August der Groß- Bahn zu bedienen.
Ich bedaure lebhaft, daß der Major Noltitz kein Verlangen zu haben scheint, auf der Laufbrücke die frische Luft des Kara-Korum einzuathmen. Ich hätte ihm eine jener vorzüglichen Londres angeboten, mit denen meine Cigarrentasche überfüllt ist. Er hätte mir mitgetheilt, ob die Stationen, die der Fahrplan mir angiebt, Balla-Ischem, Aïdine, Pereval, Kansandjik und Uschak, interessante Punkte der Bahnlinie sind – was übrigens nicht der Fall sein dürfte. Ich darf mir aber nicht erlauben, seine Siesta zu stören. Und wie unterhaltend wäre eine solche Plauderei gewesen, da sein Beruf als russischer Militärarzt ihm ja gestattet hat, den Feldzügen der Generale Skobeleff und Annenkof beizuwohnen. Wenn unser Zug dann durch die kleinen Stationen hinbrauste, die er
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