Claudius Bombarnac
sechzig Stunden … hat er wohl ein Anrecht auf zwei Minuten Freiheit.
Es ist ein Mann von mittlerer Größe, gewandten Bewegungen, aber, wenigstens hier, schleichendem Gang. Er krümmt sich zusammen, macht mit dem Rücken einen Bogen wie eine Katze und wird in seinem Kasten wohl nicht aufrecht sitzen können. Als Kleidung hat er eine bräunliche Jacke, im Gürtel festgehaltene Beinkleider und trägt dazu eine Pelzmütze, alles von dunkler Farbe.
Ich habe mich über seine Absichten beruhigt. Er kehrt nach dem Packwagen zurück, erklimmt den Auftritt nach der Plattform, er schlüpft in den Wagen, und ganz sanft schließt sich hinter ihm wieder dessen Thür. Wenn der Zug im Gange ist, werde ich an die Wand seines Kastens klopfen, und diesmal … ein neuer Zwischenfall: statt eine Viertelstunde zu dauern, dehnt sich der Aufenthalt in Tchardjui auf drei Stunden aus, weil eine kleine Beschädigung an der Bremse der Locomotive ausgebessert werden muß. Trotz der Einsprache des deutschen Barons verlassen wir den Bahnhof also doch erst um einhalb vier Uhr, wo es schon zu dämmern beginnt.
Dafür, daß ich nun meinen Besuch aufgeben mußte, bekam ich wenigstens den Amu-Darja zu sehen. Der Amu-Darja, d.i. der Oxus der Alten, ist der Rivale des Indus und des Ganges. Früher in einem noch auf Landkarten zu findenden Bette dem Caspisee zuströmend, bildet er jetzt einen Zufluß des Aralsees. Von der Schneeschmelze und dem Regen des Pamir-Gebiets ernährt, schiebt er seine Wassermassen langsam zwischen thonigen und sandigen Ufern dahin. Er ist das »Strom-Meer« in turkmenischer Sprache und sein Lauf erstreckt sich über zweitausendfünfhundert Kilometer.
Der Zug fährt auf einer den Amu-Darja überspannenden, fast fünf Kilometer langen Brücke, etwa elf Meter über der Wasserfläche hin.
Der Zug fährt auf einer den Amu-Darja überspannenden Brücke. (S. 112.)
Unter seinem Drucke erzittert die ganze Brückenbahn auf ihren tausenden von Pfeilern, die zu je fünf die neun Meter langen Querträger stützen.
Der General Annenkof hat binnen zehn Monaten und mit einem Aaswand von nur fünfunddreißigtausend Rubeln diese Brücke hergestellt, die größte aller, die die Transasiatische Bahn überschreitet.
Der Strom führt ein gelbliches Wasser. Bis über Sehweite hinaus tauchen da und dort kleine Inseln darin auf.
Popof zeigt mir die Wachtposten, die an der Brustwehr errichtet sind.
»Wozu sind denn diese Häuschen?
– Zur Unterbringung der Leute, denen ausschließlich die Aufgabe zufällt, im Fall einer Entzündung der Holzbrücke Lärm zu schlagen, und die deshalb auch mit Löschapparaten versehen sind.«
Das ist ja eine weise Vorsicht; denn nicht die Funken und Abfälle der Maschinen allein haben da und dort schon einen kleinen Brand angerichtet, sondern es sind hier auch noch andere Möglichkeiten in Rechnung zu ziehen. Auf dem Amu-Darja verkehren stromauf-und stromabwärts viele Flußschiffe mit Petroleum, und es kommt nicht so selten vor, daß diese sich in flammende Brander verwandeln. Eine fortwährende Ueberwachung ist hier also gewiß angezeigt, denn wenn die Brücke zerstört würde, verginge mehr als ein Jahr, ehe sie wieder fahrbar sein könnte, und das Uebersetzen der Reisenden über den großen Strom wäre mit den größten Schwierigkeiten verknüpft.
Endlich hat der Zug die lange Brücke mit verminderter Schnelligkeit überschritten. Bis zur zweiten Station Karakul dehnt sich nun wieder die Wüste aus.
Weiterhin erblickt man die Windungen eines Zuflusses des Amu-Darja, des Zaraschaue, »des Flusses, der Gold führt« und dessen Lauf sich bis zum Thale von Sogd in der fruchtbaren Oase mit der glänzenden Stadt Samarkand fortsetzt.
Um fünf Uhr Morgens macht der Zug in der Hauptstadt des Khanats der Bukharei Halt und ist damit eintausendeinhundertundsieben Werst von Uzun-Ada entfernt.
Elftes Capitel.
Die Khanate der Bukharei und von Samarkand bildeten einst die von Tadjiks bewohnte persische Satrapie Sogdiane, in der sich gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Usbeks festsetzten. Neuerdings hat man hier mit einem andern Ueberfall zu rechnen, nämlich mit dem durch den Sand, seit die zur Festlegung der Dünen bestimmten Saksauls fast ganz zerstört sind.
Bukhara war die Hauptstadt des Khanats, das Rom des Islams, die vornehme Stadt, die Stadt der Tempel, der verehrte Mittelpunkt der mohammedanischen Religion. Es war die Stadt mit den sieben Thoren, die während ihrer Glanzzeit von einer langen
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