Claudius Bombarnac
Nordosten der Stadt. Sein frisches klares Wasser säubert etwa wöchentlich einmal die Canäle. Die hygienische Zuströmung hat soeben begonnen.
Männer, Frauen, Kinder, Hunde, Zweifüßer und Vierfüßer baden hier in lärmendem Durcheinander, das zu schildern meine Feder nicht hinreicht und wofür es wohl kaum ein zweites Beispiel giebt.
Ich halte mich nun in südwestlicher Richtung nach dem Mittelpunkte der Stadt zu und begegne dabei Gruppen von Derwischen mit spitzen Mützen, den großen Stock in der Hand, das Haar im Winde flatternd, die zuweilen stehen bleiben, um einen Tanz aufzuführen, den selbst die verwöhntesten Stammgäste des Elysée-Montmartre beklascht hätten, während eine abgeleierte Melodie ihre charakteristischen Schritte regelt.
Auch den Büchermarkt hab ich flüchtig besucht. Diesen bilden nicht weniger als sechsundzwanzig Buden, wo Druckwerke und Manuscripte – nicht nach dem Gewichte wie der Thee oder nach der Metze wie die Gemüse, sondern – gegen klingende Münze verhandelt werden. Was die »Medresses« angeht – jene Gelehrtenschulen, denen Bukhara einen sehr weitreichenden Ruhm verdankt, muß ich gestehen, keine einzige aufgesucht zu haben. Abgemattet, ganz zerschlagen, setze ich mich unter den Ulmen des Divanbeghi-Quais nieder. Hier sieden unausgesetzt ungeheure Samovars, und für einen »Tenghe« (etwa zweiundfünfzig Pfennig) erquicke ich mich mit einem »Shivin«, einem ganz vortrefflichen Thee, mit dem sich der, den wir in Europa trinken gar nicht vergleichen läßt, denn letzterer soll schon im Himmlischen Reiche – zum Teppichreinigen gedient haben.
Das ist die einzige lebendige Erinnerung, die ich aus dem turkestanischen Rom bewahrt habe. Kann man hier übrigens nicht einen Monat lang verweilen, so ist es besser, man beschränkt sich gleich nur auf wenige Stunden.
Um einhalbelf Uhr und nachdem ich den Major Noltitz bei der Abfahrt des Verbindungsbahnzugs wieder getroffen, steige ich im Bahnhof aus, dessen Magazine mit bukhariotischen Baumwollenballen und mit mervischer Wolle vollgepfropft sind.
Mit einem Blicke erkenne ich, daß alle meine Nummern – bis auf den deutschen Baron – auf dem Perron vereinigt sind. Am Ende des Zuges halten die Perser, scheinbar recht heiter gestimmt, bei dem Mandarinen Yen-Lou Wache. Mir scheint, daß drei von den Mitreisenden jene mit auffallender Neugier betrachten; es sind das jene Mongolen mit dem verdächtigen Aussehen, die wir in Duchak aufgenommen haben. Beim Vorüberkommen an denselben glaub’ ich sogar zu bemerken, daß der Seigneur Farusklar ihnen ein Zeichen macht, das ich freilich nicht verstehe. Kennt er sie denn? … Wie dem auch sei, die Sache beunruhigt mich ein wenig.
Kaum ist der Zug wieder in Gang, da besetzen die Reisenden schon wieder den Dining-car. Die Plätze neben denen, die der Major und ich selbst im Beginne der Fahrt eingenommen haben, sind leer und der vom Doctor Tio-King begleitete junge Chinese benutzt das, um sich uns zu nähern. Pan-Chao weiß, daß ich zur Redaction des »XX. Jahrhundert« gehöre, und er hat offenbar ebenso Verlangen, mit mir zu plaudern, wie ich mit ihm.
Ich habe mich nicht getäuscht, das ist ein richtiger Boulevard-Pariser in chinesischer Tracht. Er hat sich drei Jahre in der Welt, in der man sich belustigt, und auch in der, wo man sich ausbildet, aufgehalten. Der einzige Sohn eines chinesischen Kaufmanns in Peking, ist er unter den schützenden Fittichen jenes Doctors Tio-King gereist und reist noch immer so. Der schnurrige, sogenannte Doctor Tio-King ist vernarrt in alle die Magots und Gogos, über die sein Zögling so gern spöttelt, und seit Jener am Fuße der Seine den alten Schmöker von Cornaro entdeckt hat, ist er eifrig bemüht, seine gesammte Lebensweise nach der »Kunst, lange Zeit in vollkommener Gesundheit zu leben« einzurichten. Dieses Urbild eines Stock-Chinesen vertieft sich in die strengen Vorschriften des edlen, Venetianers über das richtige Maß im Essen und Trinken, den Speisezettel, der jeder Jahreszeit angepaßt ist, die Nüchternheit als Hilfsmittel zur Kräftigung des Geistes, die Unmäßigkeit, die so viel Uebel bringt, über die Mittel, ein schlechtes Temperament zu bessern und sich bis ins höchste Alter der vortrefflichsten Gesundheit zu erfreuen u.s.w. Pan-Chao scherzt darüber ohne Unterlaß und neckt das Männchen in grausamer Weise, der gelehrte Doctor scheint davon aber gar nicht getroffen zu werden.
Noch bei diesem Frühstück konnten wir einige
Weitere Kostenlose Bücher