Claudius Bombarnac
chinesisch lernen, und nachdem ihm Pan-Chao gesagt hat, daß »tching-tching« so viel wie »ich danke« bezeichnet, »tching-tchingt« er sofort in den drolligsten Tonarten.
Dann ertönen französische, russische und chinesische Lieder – unter andern der »Shiang-Tuo-Tching«, das Lied vom Traume, von dem der junge Himmlische uns versichert, daß »die Blumen des Pfirsichs im dritten Monde, die des rothen Granatbaums im fünften Monde am köstlichsten duften.«
Das Fest dauert bis um zehn Uhr an. Da treten der Komiker und die Soubrette, die Beide vor dem Dessert heimlich verschwunden waren, wieder ein; der Eine im Kutschermantel, die Andre im Aufputz eines Kindermädchens, und beide spielen die »Sonnettes« mit einem Feuer, einer Lust, einem Taumel, der seinesgleichen sucht. Wahrlich, es wäre nicht mehr als gerecht, wenn Claretie, auf die Empfehlung Meilhac’s und Halevy’s hin, Beide unter die Pensionäre der Comédie-Française aufnähme.
Gegen Mitternacht geht das Festgelage zu Ende. Jeder von uns hat sein Coupé wieder aufgesucht. Wir hören nicht einmal die Stationen abrufen, die vor Lan-Tcheu kommen, und zwischen vier und fünf Uhr Morgens hält uns eine Rast von vierzig Minuten auf dem Bahnhofe dieses Orts zurück.
Jetzt wechselt das Land allmählich das Aussehen, sobald der Zug nämlich unter dem vierzigsten Grade der Breite dahinjagt, um den östlichen Fuß der Nan-Chan-Berge zu umkreisen. Die Wüste verschwindet nach und nach, Dörfer sind weniger selten und die Dichtigkeit der Bevölkerung nimmt schon zu. An Stelle der sandigen Ebenen treten grüne Flächen und selbst Reisfelder, denn von den benachbarten Bergen strömt reichlich Wasser auf diese hochliegenden Theile des Himmlischen Reiches. Nach der Trostlosigkeit Kara-Korums und der Einöde von Gobi beklagen wir uns nicht über diese Veränderung. Vom Caspisee her folgte immer nur ein Wüstenstrich dem andern, mit Ausnahme des Hochlandes von Pamir. Von nun an fehlen längs der Bahn bis Peking hin weder malerische Landschaften, noch bergige Horizonte und tiefe Thäler. Wir gelangen nach China, in das ureigentliche China mit den Schirmen und dem Porzellan, in das Gebiet der großen Provinz Kin-Su.
Nach drei Tagen wird unser Reiseziel erreicht sein, und ich, ein einfacher Journalberichterstatter, der viel umhergeworfen zu werden gewohnt ist, bin es gewiß nicht allein, der sich über die lange Dauer der Fahrt beklagt. Die Beendigung derselben ist gut für den in seinen Kasten eingeschlossenen Kinko und für die hübsche Zinca Klork, die sich zu Hause in der Cha-Chuastraße vor Ungeduld verzehrt. In Su-Tcheu machen wir zwei Stunden lang Halt. Meine erste Sorge ist es, nach dem Telegraphenamte zu laufen, der gefällige Pan-Chao wird mir als Dolmetscher dienen. Der Beamte unterrichtet uns, daß die unterbrochene Leitung wieder in Ordnung gebracht ist und die Depeschen also auf dem gewöhnlichen Wege befördert werden.
Sofort entsende ich an das »XX. Jahrhundert« ein Telegramm folgenden Inhalts:
»Su-Tcheu, 25. Mai, 2 Uhr 25.
Zug zwischen Tchertchen und Tcharkalyk durch Bande des berüchtigten Ki-Tsang überfallen. Reisende haben Angriff zurückgeschlagen und chinesischen Schatz gerettet. Todte und Verwundete aus beiden Seiten; Anführer getödtet durch mongolischen Seigneur Faruskiar, einen der Verwaltungsräthe der Bahngesellschaft, dessen Name Gegenstand allgemeinster Bewunderung zu sein verdient!« .
Wenn mir diese Depesche keine Belohnung von meinem Director einbringt …
Zwei Stunden, um Su-Tcheu zu besuchen, an dem nicht viel ist.
Bisher haben wir in Turkestan stets nur je zwei aneinander geklebte Städte, eine alte und eine neue, zu Gesicht bekommen. In China sind, wie mich Pan-Chao belehrt, allemal zwei, drei oder sogar vier, wie bei Peking, ineinander geschachtelt.
Hier z.B. bildet Taï-Tcheu die äußere und Le-Tcheu die innere Stadt. Zuerst fällt uns davon auf, daß beide merkwürdig verlassen aussehen. Ueberall Spuren von Feuersbrünsten, da und dort halb zerstörte Pagoden und Wohnhäuser, eine Anhäufung von Trümmern, die nicht das Werk der Zeit, sondern das der Kriegsfurie verrathen. Es rührt das daher, daß Su-Tcheu, einmal von den Muselmanen erstürmt und dann wieder von den Chinesen zurückerobert, alle Schrecknisse jener wilden Kämpfe gekostet hat, die hier mit der Zerstörung aller Bauwerke und mit der Niedermetzelung der Bewohner jedes Alters und Geschlechtes zu enden pflegen.
Freilich ersetzt sich im
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