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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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übermorgen volljährig.“
    Sie würde von der Bildfläche verschwinden, und man könnte die Polizei nicht mehr bitten, diese unverbesserliche Ausreißerin zu schnappen. Fritzl setzte sich auf dem Sofa auf, erhobener Kopf, erhobene Hand. Diese Haltung nahm er gewöhnlich ein, wenn er ein Urteil fällte.
    ,,Angelika hat alles mit ihrer Ganovenbande kaputt gemacht. Das sind Punks, mit denen sich dieser Thomas eingelassen hat.“
    ,,Wir müssen sie finden.“
    Anneliese rutschte auf ihrem Hintern herum.
    ,,Aber das lassen wir ihr doch nicht durchgehen?“
    ,,Nein.“
    ,,Können wir sie anzeigen?“
    Fritzl schloss die Augen. Kurze Stille. Ein Weiser, der nachdenkt, bevor er die Lider wieder aufschlägt.
    ,,Der Schaden ist unwichtig.“
    ,,Aber das ist doch eine große Summe, die wir zum Fenster rauswerfen.“
    ,,Ich werde das Schloss aufbrechen. Die Versicherung wird uns neue Möbel bezahlen.“
    ,,Stimmt, sie waren alt.“
    Doch die Versicherung würde knausern. Der Schadenersatz sollte gerade für einen neuen Kühlschrank und einen Teppich reichen. Notdürftig würde Fritzl die Möbel reparieren.
    Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
    ,,Unsere Tochter trinkt, sie nimmt Drogen und läuft herum wie eine Nutte. Wenn wir ihr keinen Riegel vorschieben, wird sie im Gefängnis oder tot auf einer Mülldeponie landen. Es ist meine Pflicht, einzugreifen, bevor es zu spät ist.“
    Anneliese bekam wieder besser Luft, erleichtert, dass er einen Sündenbock gefunden hatte.
    ,,Man muss ihr für einige Zeit alle Freiheit entziehen, damit sie nicht in ihr Verderben rennt.“
    ,,Könnte man den Doktor bitten, sie in ein Heim zu stecken?“
    ,,Ich werde sie außer Gefahr bringen.“
    ,,Wo?“
    ,,Im Bunker.“

Am nächsten Abend tauchte Fritzl am Feierabend vor dem Wirtshaus auf. Angelika warf sich in Thomas’ Arme. Der Junge war verunsichert – dieser reglos dastehende Mann mit dem Sphinxlächeln machte ihm Angst.
    Fünf Minuten später zog Fritzl Angelika mit sich. Er stieß sie über den Platz, sie ließ sich wegführen, ohne zu schreien, ohne zu weinen. Thomas folgte ihr in einiger Entfernung wie eine feige Leibwache. Angelika drehte sich um und machte ihm ein Zeichen, wegzugehen. Er zögerte, sie nickte wieder, er ging.
    Fritzl redete beruhigend und sanft mit ihr, die Stimme eines Vaters, der sich um die Zukunft seiner Tochter sorgt.
    ,,Gut, dass du ausziehst. Du hast Arbeit, du hast einen Freund, bald wirst du auf eigenen Beinen stehen. Ich weiß, dass du mich nicht magst, vielleicht hast du ja auch recht damit. Ich habe dich mehr geliebt als meine anderen Kinder, das hätte ich nicht tun sollen.“
    Seine Stimme hatte etwas Faszinierendes. Eine neue, nie gehörte Stimme wie die eines anderen Menschen. Ein Vater, der von anderswoher gekommen war, ein Vater, der ihr heute seine Väterlichkeit erklärte. Die Erklärung kam zu spät, aber es ist erholsam, zu glauben, man könne seine Vergangenheit weichzeichnen, indem man sich einredet, der Vater hätte einen um Vergebung gebeten. Die Personen von früher legen sich über die Figuren, zu denen sie geworden sind. Eine Art Milde, ein Schleier der Barmherzigkeit. Milde ist beruhigend, und Barmherzigkeit gibt einem das Gefühl, frühere Kränkungen zu überwinden.
    Sie ging neben ihm. Er stieß sie nicht mehr vorwärts, sie ließ sich führen, so wie man sich im Rausch fallen lässt. Ihre Schritte auf der Straße klangen wie das Ticken eines Metronoms.
    ,,Eltern tun nicht immer nur das Richtige. Ich hatte ein sündhaftes Verlangen. Du hast oft Angst vor mir gehabt. Morgen wirst du volljährig, und ich habe keinerlei Autorität mehr über dich. Du wirst frei sein und kannst aus deiner Freiheit machen, was du willst. Die Menschen wollen Freiheit und Glück. Sie haben keine Werte mehr, sie meinen, das Leben wäre nur für sie gemacht und hätte ihnen zu Diensten zu sein. Ich aber habe immer gehorcht. Ich bin im Dritten Reich groß geworden, ich mochte die Nazis nicht, sie haben deiner Großmutter und mir Schlimmes angetan. Deine Großmutter war eine Märtyrerin. Doch trotz ihres Hasses auf Adolf hat sie die nationalsozialistischen Werte immer respektiert: Disziplin, Ordnung, Zusammenhalt.“
    Er blieb auf dem Gehweg stehen, drehte sich zu ihr um, suchte ihren Blick, den sie ihm nicht schenkte.
    ,,Du wirst mir nie verzeihen, aber du wirst irgendwann vergessen.“
    Sie hörte nur ein Murmeln, nicht seine Worte, seine Stimme. Immer hatte er seine Stimme eingesetzt wie eine Waffe, Worte wie

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