Claustria (German Edition)
müsse aus einem Kabarett kommen und würde stundenlang durch die Steinbrüche hallen, bevor er dann unter dem Haus platzte wie ein Blase, hatte ein Mieter gekündigt, und Fritzl hatte ein nervöses Flackern in Annelieses Blick entdeckt.
Diese Strafe würde Angelika in ihrer Todesangst eine Lehre sein. Sie würde hoffen, seine Nachsicht gewinnen und sich länger an Petras Anwesenheit freuen zu können, wenn sie schwieg und noch weniger Geräusche machte als die lauernden Ratten.
Bei seiner Rückkehr ließ er seinen Plan, die Kleine wieder heraufzuholen, ganz fallen. Er würde Angelika und deren Tochter klammheimlich und ganz zurückgezogen erziehen. Die Dunkelheit beruhigte Angelika, stopfte ihr das Maul, so wie sich Tobende im Gefängnis beruhigen, wenn man sie in die Dunkelzelle steckt.
Noch eine Tasse. Er faltet die Zeitung zusammen und steckt sie wieder in die Tasche. Er vergisst die Zeitung nie im Keller. Er liest ganz für sich. Angelika kann noch so verstohlen darauf schielen, das Datum konnte sie noch nie erkennen.
Auf der Sportseite konnte sie Fußballergebnisse entziffern, Teile des Wetterberichts, die Ankündigung vorgezogener Wahlen. Sie sah Werbeanzeigen in schreienden Farben vorüberziehen, lustige Slogans, Bilder von Cabrios, Nudeln in Hufeisenform, von wunderschönen neuen Häusern, umgeben von Rasen, Bäumen, Figuren von Menschen, die zu begeistert wirkten, um echt und von dieser Welt zu sein.
Sie bekam Lust auf Handtaschen mit langen, bunten Riemen, seegrüne Jeans, die gerade in Mode kamen, auf Lippenstift in Blassrot, Fuchsia, Granatrot, Lidschatten, Mangoseife, Marillenseife, leichte Parfüms, gewonnen aus Blüten der Antillen. Die ganzseitige Anzeige einer neuen Disco mit endlos langer Bar und riesiger Tanzfläche, die im Scheinwerferlicht schillerte – jede Nacht musste der Alkohol in diesen schwarzen Kristallgläsern fließen, die auf dem Tresen aufgereiht waren. Etwas zum Träumen, um ihren Verstand mit konsumorientierten, paradiesischen Bildern zuzukleistern. Inhaftierte heften Pin-up-Girls an die Wand, von denen sie sich nicht einmal den Hauch eines Kusses erhoffen konnten.
Mit ernstem Gesicht uriniert Fritzl in die Kloschüssel. Er fährt sich vor dem Spiegel mit dem Kamm durchs Haar. Er kommt ins Zimmer. Angelika sitzt bedrückt in einer Ecke, Petra schläft an ihrer Schulter.
,,Sagst du mir nicht Servus?“
Sie hebt den Kopf. Der Blick eines kleinen Raubtiers.
,,Du hast mich nicht mal begrüßt.“
Sie drückt Petra fester an sich.
,,Du drückst sie zu sehr, sie erstickt ja. Ich habe keine Lust, eine Leiche hinaufzutragen.“
Angelika steht auf, legt Petra in die Wiege. Sie stürzt sich auf ihren Vater, sucht mit den Nägeln seine Augen, will sie ihm auskratzen – damit er kriecht, um sie wiederzufinden, wenn sie unters Bett gerollt wären wie Kugeln. Dann wird sie mit beiden Beinen auf ihn springen und ihn zerstampfen. Aus ihm einen Brei aus Knochen unter seinem Fleisch machen. Er stößt sie zurück, der dumpfe Aufprall ihres Kopfes an der Wand.
,,Wenn du das noch mal machst, bringe ich sie um.“
Er beugt sich über die Kiste. Nimmt sie hoch, macht ein paar Schritte, als wolle er prüfen, ob er sie ohne große Mühe hinauftragen kann. Er stellt sie wieder ab.
,,Ich habe deine Mutter schon darauf vorbereitet. Ich habe ihr geholfen, den Kinderwagen vom Dachboden zu holen.“
Er richtet sich wieder auf, mustert sie, aber ihr Blick weicht nicht aus. Dieses Tier mit den gebrochenen Reißzähnen ist nicht gebändigt. Sie hat eine Feder in sich, die plötzlich herausschnellt.
Der heftige Schmerz, den die Männer fürchten. Ein Kniestoß in die beiden Drüsen, in denen die Hälfte von Angelika einmal beherbergt war. Fritzl klappt zusammen. Es ist das einzige Mal in ihrem Leben, dass sie Tränen in seinen Augen sieht.
Eine panische Bewegung. Sie schnappt sich Petra, ergreift die Flucht. Sie knallt an die Tür, schlägt mit dem Kopf gegen den Stahlbeton, um die Schleuse aufzubrechen, dann noch mal, damit ihr der Kopf platzt. Ihm endgültig entkommen, die Entscheidung einer freien Frau, die ihrem Peiniger die Macht entzieht, sie zu richten. Ein roter Fleck an der weißen Tür, die Kriminaltechniker werden bei der Spurensuche noch Reste davon finden.
Auf dem Boden liegt eine zusammengebrochene, bewusstlose Frau, die Petra im Fallen losgelassen hat. Fritzl sitzt keuchend und gebeugt auf dem Bett, die Hände wie eine Muschel um seine Hoden gelegt.
Als er geht, ist das Kind auf
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