Claustria (German Edition)
mussten sie ins Bett kommen.
Wir haben sie vergessen, sie sind herausgekommen, als ich unter der Dusche war. Ich bin nicht schwanger. Im Fernsehen habe ich gesehen, dass es Frauen gibt, die mit dreißig schon in die Wechseljahre kommen. Ich weiß nicht, ob der Uterus unter der Erde schneller altert, die Eierstöcke halten sich ohne Sonne vielleicht besser. Ich habe ihm gesagt, dass ich sicherlich graue Strähnen habe, ich sehe sie im Spiegel genau. Er hat gesagt, dass in der Dunkelheit selbst alte Frauen schwarze Haare haben. Ich habe Angst, dass er mich sterben lässt, wenn ich ihm nicht mehr gefalle. Er hat meine Brust mehrmals lange angesehen. Sie ist ein bisschen schlaff. Wenn er nicht da ist, schlafe ich mit Büstenhalter, das strafft sie. Sobald ich höre, dass er die erste Tür aufmacht, reibe ich sie mit Eiswürfeln ab. Ravioli-Dosen sind praktisch. Ich verstecke Lebensmittel unter den Kleidern der Kinder, vielleicht kann ich Vorräte anlegen. Gestern kam eine Frau hierher, sie ist auf der anderen Seite der Schleuse geblieben. Ihre Stimme hat mir in den Ohren gedröhnt, sie wollte, dass ich der Volkspartei beitrete, ich habe ihr Fragen über Yoga gestellt. Er kam mit einem Büschel Heu, hat die Kinder daran riechen lassen, damit sie die Natur kennenlernen. Es ist zu heiß, ich glaube, ich werde oft ohnmächtig. In den Nachrichten zeigen sie jedes Mal einen Krieg. Hier im Bunker sind wir sicher vor Bomben. Man ist glücklicher, wenn man das ganze Jahr in der Werbung lebt. Sogar das kalte Wasser ist warm, ich bedecke die Kinder mit feuchten Tüchern, wenn sie schlafen, leere ich die Wannen in mein Bett.
Sie schafften es, sich vor der Kälte zu schützen, aber wenn man kein Fenster aufmachen kann, um die kühle Nachtluft hereinzulassen, bleibt die Hitze im Raum und steigt an. Schweiß, ewiger Monsun. Gestank. Der Keller ein Mistkübel, den man in der Sonne stehen ließ.
Kühle, die Zufriedenheit, die in der Werbung herrscht. Bilder von Urlaubern, die in Bergseen eintauchen oder die weit weg von Österreich zwischen zwei Badegängen mit Cocktails anstoßen. Fleißige Angestellte in klimatisierten Büros, wo man sich mitten im August eine Erkältung holt. Das Grauen des Tagesgeschehens, das Pechvögeln erlaubt, sich mit Mitleid zu trösten.
So viel Unglück draußen, so viel Sonne in Afrika, und nichts wächst, die Tiere sterben, alle sterben. Jetzt können auch Privatkunden Bügelmaschinen kaufen. Es heißt, zum Mars zu fliegen sei zu teuer. Die Schulferien sind nächstes Jahr kürzer. Man muss es wissen und sich daran erinnern.
Delirien bei Hitzschlägen. Angelika schrieb ganze Seiten mit Fernsehnachrichten voll. Ein Wachtposten mit dem Auftrag, die Ereignisse niederzuschreiben, damit sie sich nicht verflüchtigten. Sie rannte hinter Bildern her, hinter den Worten der Journalisten. Sie schrieb langsamer, als das Fernsehen sendete. Die Sätze sind oft verdreht. Seiten mit hingeschmierten Zeichnungen, die sich ziehen wie ein endloser Satz, um eine Reportage nachzuerzählen. Angst, den Faden zu verlieren, wenn sie aufgibt und etwas anderes beginnt.
Die Rede eines Ministers, der auf einmal sprach wie in einem Lied und den Wetterbericht für den nächsten Tag präsentierte, nachdem er die Abenteuer einer lustigen Erdbeere – die das Privileg erhalten hatte, sich in den Kessel eines preisgekrönten Marmeladenherstellers zu stürzen – und die Wahnvorstellungen einer Schizophrenen erzählt hatte, die überzeugt war, Musik sei ein Stoff, aus dem man Statuen machen könne.
Ich habe keine Sekunde für mich, ständig passiert etwas.
Indem man verrückt wird, kann man die Zeit nutzen, das Echo der Wirklichkeit zu fixieren, wenn man nicht an ihr teilhaben kann.
Ende September kriecht die Kälte innerhalb von zwei Tagen in den Keller. Die Welt zieht sich auf einmal zusammen, die Bilder entfernen sich. Angelika fällt zurück ins Verlies. Das Heft ist nicht mehr zu gebrauchen, nachdem sie auch die Ränder gefüllt und zwischen den Zeilen geschrieben hat. Der Umschlag ist voller unleserlicher Wortspuren an den Rändern. Diese Kloake aus Gekritzel widert sie nun an. Sie wagt nicht, das Heft wieder aufzuschlagen, Katzen scharren die Erde auf, um ihre Ausscheidungen zu vergraben. Scham, dass sie sich vom Wahnsinn mitreißen ließ. Sie legt das Heft ganz oben auf den Küchenschrank.
Unweigerlich musste sie im Vorbeigehen immer einen Blick in seine Richtung werfen. Fritzl könnte jeden Moment eine Generaldurchsuchung
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