Claustria (German Edition)
aber es war ein anderer, als er gekommen ist, war seine Stimme in einem Mann eingeschlossen, den ich noch nie gesehen habe. Ich glaube, wir haben miteinander geschlafen, er sah Thomas nicht ähnlich. Er kommt nicht mehr. Es hat auf die Wiege geregnet. Petra mag Faschiertes, ich esse im Bett, seit der Fernseher hier ist, ich schlafe mit dem Essenstablett ein.
Seiten, in die sie die kleinsten Freuden, Schmerzen, den Hunger hineinquetscht.
Pfirsichparfüm ist toll. Manchmal vergehen die Tage so schnell, ich sehe in den Nachrichten, dass schon übermorgen ist. Ich bin sicher, dass ich gehustet habe, ich bin mit der leeren Hustensaftflasche unter dem Kopfpolster aufgewacht. Oft finde ich mein Nachthemd auf dem Boden, er oder irgendwer kommt, wenn wir schlafen. Im Lüftungsschacht habe ich eine Wolke gesehen, aber das muss eine Mondsichel in der Nacht gewesen sein. Meine Wange ist geschwollen, wenn ich Aspirin nehme, blute ich, er hat gelacht, als ich ihn gebeten habe, mich hinauf- und zum Zahnarzt zu bringen. Keine Vorräte mehr in den Schränken. Öl war im Sonderangebot, er hat drei Kanister gebracht, nichts anderes seit einer Woche. Ich erhitze es in der Pfanne, kratze den Boden ab, den Kindern ist übel, das ist besser, als Hunger zu haben.
Danach die Gewissensbisse. Dann löste sich das Wissen, versagt zu haben, langsam auf. Dicht gedrängte Erwähnungen der vergnüglichen Momente trotz der Wände, der Enge, der Anwesenheit der Kinder. Ohne es zu wollen, wurden die Kinder Zeugen der Spiele ihrer Eltern an diesem Ort ohne innere Türen. In der ersten Zeit sperrte Angelika sie in die Speisekammer ein und band sie mit je einer Hand mit einer langen Schnur an eines der angedübelten Regale.
Mit vier konnte Petra die Schnur an ihrer Hand und an der Hand ihres Bruders lösen. Die Kinder streiften umher, machten sich einen Spaß daraus, ins Zimmer zu rennen und lachend wieder hinauszulaufen. Dieses Gerenne störte Fritzl. Angelika brachte es nicht über sich, ihnen beide Hände anzubinden, sie zu fesseln. Trotz der Drohungen widerstanden sie der Versuchung nicht, dieses Zimmer auszukundschaften, zu dem ihnen der Zugang verboten war.
Petras und Martins Augen. Sie lachen, ihre Augen sind traurig. Ich wende mich ab, ich muss sie immerzu ansehen. Ich habe schon bemerkt, dass die Wände hier Spiegel sind, mein Spiegelbild folgt mir, wenn ich einen Raum verlasse. Seit drei Monaten hat Papa mich nicht mehr geschlagen. Es regnet nicht mehr ins Zimmer herein, die Ratten haben Angst vor mir, seit ich sie erwürge. Es gibt auch schöne Momente, wenn er hier ist. Die ganze letzte Woche war es schwer, keinen Erwachsenen um sich zu haben, mit dem man reden kann. Mit dem Kopf im Waschbecken habe ich Sachen gesagt. Die Leitungen reichen weit, sie sprechen miteinander. Es gibt Krümmungen darin, die halb leer sind, es hallt, die Leute hören es und haben Angst, für verrückt gehalten zu werden, wenn sie mir antworten. Ich weiß nicht, warum ich gestern gesagt habe: Ich liebe dich. Thomas war stinknormal, er ist sicherlich so wie viele andere Männer. Ich schlage die Kinder zu viel.
Wachsende Disziplin. Die Kinder wurden langsam größer. Sie liefen schneller. Sie kletterten auf die Spüle. Angelika konnte sie nur mit Mühe aus dem Lager herausziehen, das sie unter dem Bett eingerichtet hatten, wo sie auf dem Bauch hausten. Die Decke dieses Raumes war zu niedrig, als dass sie sich umdrehen oder den Kopf heben konnten. Stundenlanges Gemurmel. Angelika sprach nie ihre Sprache. Eine Ethnologin, die gezwungen war, ihre fremden Worte, ihre Gestik, ihre Mimik zu deuten. Gekreuzte Finger, eine plötzlich verkrampfte Hand wie ein Haken. Stundenlanges Schweigen Arm in Arm. Schlaf mit weit offenen Augen.
Irgendwann gewöhnten sich die Kinder an den Anblick der Eltern. Manchmal versuchte Angelika wieder ihr Glück – sie löschte das Licht. Fritzl machte es wieder an.
,,Wenn man nichts sieht, kann man nicht richtig arbeiten.“
Die Kinder verschmolzen schließlich mit der Szene. Schweigende Wichtel, das Licht ließ ihre Augen leuchten. Aufgeregte, flüchtende, reglose Gören vor den erregten Körpern. Man weiß nicht, ob man sie gesehen hat, ob man sie sieht, ob sie verschwunden sind. Am Ende bemerkt man den Haushund, die Hauskatze gar nicht mehr und setzt seine Liebesnacht ungehindert fort, wenn das eine anfängt zu zetern und das andere ums Bett herumrennt. Später zwang Fritzl sie, bei ihren Liebesspielen zuzusehen. In der Pubertät
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