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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Régis Jauffret
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sie Afrikaner, wenn sie braun sind?“
    ,,Warum ist das Grün im Fernsehen nicht so grün wie das Gras auf dem Foto?“
    ,,Und uns, Papa? Fotografierst du uns nicht?“
    Damals konnte er mit dem Handy noch keine Fotos machen. Die Kamera brachte er nur selten mit. Er fotografierte den Keller nur zu dokumentarischen Zwecken – um die Bilder zu vergleichen. Er legte sie in eine Reihe und beurteilte dessen Entwicklung, Angelikas schwerer werdenden Körper, ihren Mund, der auch die letzten Zähne verlor, die Kinder, die wuchsen und dicker wurden. Nach und nach dokumentierte er auch den Verfall der Wände und der Decke, an der einige Latten unter dem Gewicht der Erde durchhingen. Zufrieden stellte er fest, dass die Haushaltsgeräte nicht vergilbt waren, er könnte sie Anneliese bringen und für neu ausgeben. Nur so eine Idee, falls den Kellerbewohnern etwas zustoßen sollte …
    Mit Angelikas Bemühungen, den Raum wohnlich zu gestalten, war Fritzl nicht unzufrieden. Je nach den Sonderangeboten des Händlers, der einen Stand vor dem Supermarkt hatte, kaufte er Stoffreste. Angelika hängte sie mithilfe von Klebstoff, den er ihr auch gebracht hatte, an die Wand.
    ,,Damit kannst du dein Nest verschönern.“
    Ein leises sarkastisches Lachen, das diesem Geschenk einen bitteren Beigeschmack verlieh.
    Mit einem Stück hellroter Kunstseide bedeckte Angelika das Bett; irgendwann ersetzte sie es durch ein anderes Stück Stoff, das Fritzl heranbrachte.
    Im Herbst 1998 beschloss er, im Keller eine Zentralheizung einzubauen. Schöne weiße, gusseiserne Heizkörper. Die Leitungen verliefen durchs Labyrinth.
    ,,Diesen Winter werdet ihr es warm haben.“
    Angelika war überglücklich.
    ,,Es wird weniger feucht sein, und die Wäsche trocknet besser.“
    Aus Angst, seine Heizölrechnung könne sich erhöhen, schloss er die Rohre aber nie an den Heizkessel an. Mitte November fragte Angelika ihn dann, warum die Heizung noch nicht angeschaltet sei.
    ,,Ich warte, bis es richtig kalt ist.“
    Es wurde Dezember, es wurde Januar, die eisigen Februarwochen kamen.
    ,,Ich möchte meinen CO 2 -Ausstoß reduzieren.“
    ,,Die Kinder haben Frostbeulen.“
    Ein barbarisches Lachen.
    ,,Auch sie müssen dazu beitragen, den Planeten zu retten.“
    Anfang März gab es vereiste Stellen in der Speisekammer.
    ,,Ich muss zweimal am Tag kochendes Wasser daraufschütten.“
    ,,Diesen Winter gibt es keine Heizung, ihr kostet mich schon genug.“
    Im Sommer wurden die Heizkörper lauwarm, den Rest des Jahres waren sie so kalt, dass Angelika argwöhnte, sie würden die Temperatur im Keller absenken.
    Eines Tages brachte Fritzl ihr einen Rest Store, weil er billig war.
    Sie überlegte lange. Sie legte ihn über die Lampe, hielt ihn an ihren ausgestreckten Armen und sah durch den durchsichtigen Vorhangstoff ins Schlafzimmer. Sie stellte sich woanders hin und blickte in die Küche. Die Kinder rannten auf den wenigen Quadratmetern der Speisekammer herum. Eine gedämpfte Wirklichkeit, grau überzuckert wie damals die Straße, wenn sie sie durch den Store am Fenster ihres Zimmers betrachtet hatte.
    Ein Gefühl der Trauer – da oben war die Straße heller gewesen, weniger trist, selbst wenn der Vorhang seit zwei Jahren nicht mehr gewaschen worden war. Schließlich knüllte sie ihn zusammen, stopfte ihn in einen Plastiksack und warf ihn ins Regal.
    Ein paar Monate später fanden die Kinder ihn, rissen ihn entzwei und verkleideten sich damit.
    ,,Wir sind Marsmenschen.“
    ,,Wir leben auf dem Mond in einem Iglu.“
    Angelika lächelte.
    Die Kleinen wurden ihrer Verwandlungen schnell überdrüssig, ihr Kostüm ließen sie auf dem Boden liegen. Angelika schmierte ihnen eine und schickte sie in die Speisekammer, wo sie über die Schwere ihres Vergehens nachdenken sollten.
    Sie wusch den Store in der Badewanne. Nass war er noch durchsichtiger. Sie hängte ihn auf die Leine. Dahinter sah sie die Kacheln. Man erkannte selbst die feinsten Haarrisse, die kleinsten Rostflecken, mit denen sie trotz Putzmittel und Chlorbleiche nicht fertig wurde.
    Der Schleier ließ alles deutlicher zutage treten. Er war aus weiß leuchtenden Fäden gewoben, sie hatten ein Gedächtnis, besaßen Vorstellungskraft. Angelika fing an, Autos zu sehen, eine Frau, die in der aufgehenden Sonne die Fensterläden öffnet. Es bedurfte nur eines Lidschlags, und es tauchte eine Familie mit einem braunen Hund bei einem Waldspaziergang auf. An seiner Leine, die am Gestänge des Kinderwagens befestigt war, trottete er

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