Claustria (German Edition)
Annette, die der Gestapo getrotzt hatte, dem Lager Mauthausen, umgeben von Stacheldraht unter Strom. Ein Lager unter freiem Himmel, aber abends kümmerte sich dort keiner um die Milchstraße. Das Grauen, die Erschöpfung, der Hunger machten den Himmel niedrig wie die Decke im Keller, selbst an sonnigen Tagen.
Schon seit Monaten träumte Fritzl von einem privaten Lager, dessen einzige Insassin Angelika wäre, er wäre Kapo, SS, der Führer. Auf der Suche nach einer Waldlichtung, die zum Verkauf stand, streifte er durchs Umland. Er stellte sich vor, dass der Wald jeden Ausbruchsversuch im Keim ersticken würde, selbst wenn Angelika es schaffen sollte, die Mauern zu erklimmen. Er würde eine Betonmischmaschine herbringen und einen Bunker bauen, einen Käfig für Menschen.
Ein Tier, eine Stute im Stall, eine Gefangene in einem fensterlosen Verlies mitten in der Natur. Mit der Begeisterung, dem Schwung, der Beharrlichkeit eines Familienvaters, der den Seinen ihr Häuschen im Glück vormalt, begann er, den Plan der Hölle und seiner Träume zu zeichnen. Ein kleines Lager wie ein Privatpuff mit Angelika als einziger Hure.
Aber es gab keine Lichtung zu kaufen. Die Notare, mit denen er sprach, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und legten ihm nahe, doch besser einen Kartoffelacker an einer Bergflanke, eine Weide, einen Obstgarten zu erwerben.
Einer wurde misstrauisch, als Fritzl nicht locker ließ.
,,Was liegt Ihnen denn so an einer Waldlichtung? Wollen Sie dort Schwarze Messen abhalten?“
Es hieß, in abgelegenen Teilen Niederösterreichs gäbe es noch immer Hexerei und Rituale, bei denen man im Mondschein Tieropfer darbrachte. Erst kürzlich hatte man in einer Viehtränke die aufgeschlitzte, ausgeblutete Leiche eines unbekannten Babys aufgefunden. Manche behaupteten, es sei eine Opfergabe gewesen. Man hatte den Mörder gefasst, einen Psychopathen, der sich noch am Abend seiner Inhaftierung erhängt hatte. Das Gerede war schließlich verstummt, aber dem Notar kam Fritzls Wunsch nach einer Waldlichtung dennoch merkwürdig vor.
Forste jedoch gab es zu kaufen. Fritzl hätte Bäume fällen und eine Lichtung schlagen können. Aber ein Forst war kein Wald, ihm fehlte die Undurchdringlichkeit, diese Mauern aus ineinanderverschlungenem Grün, die die Germanen lange Zeit vor dem Einfall der Römer geschützt hatten.
Die Monate vergingen. Weiher standen zum Verkauf, Fritzl war versucht. Er müsste nur einen Weiher weit weg von einem Dorf finden, ihn ablassen, wie die Förster es ein Mal im Jahr machen, um den Grund zu reinigen. Dann würde er ein Unterwasserhaus in die Mitte stellen, wie er es in einem Film von Jacques-Yves Cousteau gesehen hatte.
In Fritzls Unterlagen fand man das Antwortschreiben einer Firma, die Unterwasserhäuser herstellte.
,, Comex verkauft nicht an Endverbraucher.“
Nun ja, er konnte sich auch nicht vorstellen, sich jedes Mal als Froschmann zu verkleiden, wenn er Angelika besuchte. Er überlegte, mitten im Wasser eine kleine Insel anzulegen, eine Art Alcatraz, um das anstelle von Haien Karpfen und Gründlinge umherschwammen. Es sei denn, er importierte einen Schwarm Piranhas aus Amazonien. Aber die Nahrung für diese Fische wäre viel zu teuer.
Angesichts der hoffnungslosen Lage war er kurz davor, in der Stocka bei der Ortschaft Klostrwald, zurückgesetzt von der Landstraße, die von Amstetten nach Norden führt, ein großes Gebäude zu kaufen. Er wollte den Korpus stehen lassen und mittendrin ein Verlies ausheben. Er würde Angelika dort unten anketten, ihr das Essen hineinwerfen und sie an einem Seil heraufziehen, wenn er Lust auf sie hätte.
Im letzten Moment trat er vom Kaufvertrag zurück. Das Verlies war eine blöde Idee, das musste er schließlich im Stillen einräumen.
Eines Abends im November 1977 hörte er, wie der amerikanische Präsident Jimmy Carter von einer neuen Eiszeit im Kalten Krieg sprach, den man zu früh beendet geglaubt hatte. Die Sowjetunion hatte gerade im Ostblock Cruise Missiles stationiert, die auf Westeuropa gerichtet waren.
,,Sollte in Europa ein neuer Atomkonflikt ausbrechen, ist es die Pflicht der USA, einzugreifen.“
Ein dritter Weltkrieg stand ins Haus – mitten im Herzen des alten Europa gäbe es Hiroshima und Nagasaki. Jedenfalls stellte Anneliese sich das so vor. Mit Grauen erinnerte sie sich an die Bombardierung Amstettens 1944 und 1945, an die langen Stunden, die sie in den Steinbrüchen gesessen waren, immer in der Angst, das Haus der Eltern
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