Claustria (German Edition)
leiser, schloss die Augen und ließ sich von den Schreien, den Schlägen, dem Geräusch des Körpers, der auf den Boden fiel, und dem Weinen wiegen, das auch noch zu hören war, als Anneliese wieder hereinkam, nachdem sie das Heft in die Nachtkästchenschublade ihres Mannes gelegt hatte. Ohne zu wissen, warum. Aus Respekt.
Er warf ihr einen fragenden Blick zu.
,,Der Mann, der sie heiratet, wird sein blaues Wunder erleben.“
Mehr sagte sie nicht. Sie schämte sich für ihre Tochter.
Am nächsten Tag sorgte sich eine Aufsichtsperson in der Schule wegen des blauen Flecks an Angelikas linkem Auge.
,,Das ist nichts.“
Bis zum Nachmittag war das ganze Auge blau geworden. Der Aufseher lachte mit den Kindern, die spotteten:
,,Angelika ist ein Boxer.“
,,An dir ist ein Bub verlorengegangen, Angelika.“
Und dabei blieb es.
Am darauffolgenden Montag legte Fritzl das Pornoheft wieder unter Angelikas Kopfpolster. Anneliese fand es später im Schrank unter einer alten Puppe, dessen pinkfarbenes Kunstseidekleidchen Angelika gebauscht hatte, um das Heft zu verstecken. Das Kind hatte sich nicht getraut, es wegzuwerfen – jemand hätte es unten in der Mülltonne entdecken können, ein Lumpensammler oder streunende Katzen hätten den Müllsack aufreißen können. Dieses Mal hatte Angelika die Zeitschrift durchgeblättert, bevor sie ein Versteck dafür gesucht hatte. Alle Seiten würden sie verraten. Auf jedem Bild hätte man den Abdruck ihres Blickes sehen können, den alle Welt wiedererkannt hätte.
Sie hatte Albträume, sie weckte das ganze Haus. Alle brüllten aus ihren Betten, sie solle still sein. Wenn der Lärm nicht aufhörte, schickte Fritzl seine Frau, um Angelika zu beruhigen. Sie erstickte Angelikas Weinen unter der Bettdecke.
Fritzl lauerte seiner Tochter auf. Er folgte ihr im Treppenhaus, auf den Gängen, und wenn sie duschte, sah sie sein Gesicht im Türspalt, denn die Kinder durften die Badezimmertür nicht verriegeln. Lüsterner Blick, steifes Glied, manchmal zog er es aus dem Hosenschlitz und schwang es wie eine Drohung.
Wenn er früh Feierabend machte, wartete er vor der Schule auf sie. Sie erkannte ihn im Gewühl der Schüler, die sich auf den Gehweg ergossen. Er verschwand wieder, und sie war sich nicht mehr sicher, ihn überhaupt gesehen zu haben. Er folgte ihr von Weitem, dann machte er kehrt und lief schnell weg, mit großen Schritten wie ein Marathonläufer.
An einer Straßenecke tauchte er auf, mit seinem Lächeln sah er aus wie ein Raubtier mit zurückgezogenen Lefzen. Sie erstarrte, schwitzte, fröstelte, obwohl der Sommer schon begonnen hatte. Plötzlich drehte er ihr den Rücken zu und ging in aller Ruhe nach Hause. Sie bummelte noch herum. Am Fuß der Treppe wartete er auf sie.
,,Du kommst schon wieder zu spät!“
Die Mieter hörten die Watschen und duckten sich in ihren Einzimmerapartments.
Anneliese tat ihr Mann leid, weil er so eine kokette Tochter hatte. Eines Sonntagnachmittags hörte sie ihn kichern, als sie an Angelikas Zimmer vorbeiging. Dann stöhnte er, während ihre Tochter ein Würgen von sich gab wie bei Brechreiz. Fritzl schimpfte kurz, dann hörte Anneliese, wie das Mädchen gegen die Wand fiel.
Sie sah Angelika herauskommen, sah sie mit zerrissenen Kleidern zur Toilette laufen. Sie horchte an der Tür, hörte, wie sie sich übergab. Sie schimpfte ihre Tochter ein kleines Luder und als sie wegging, spuckte sie auf den Boden, wie um das Unglück heraufzubeschwören.
Beim Abendessen war Fritzl noch griesgrämiger als sonst. Er beschwerte sich, dass die Grießnockerln die Suppe verdarben, die Krautwickler nach Metall schmeckten, das Obers am Kuchen ranzig sei. Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Angelika ließ er nicht aus den Augen, er richtete alle Vorwürfe an sie, machte ihr eine Szene, als hätte sie dieses klägliche Mahl gekocht.
Nach dem Essen wandte er sich an seine älteste Tochter, die Sechzehnjährige hieß Anneliese wie ihre Mutter.
,,Zieh dieses Nuttenkostüm aus.“
Ein Kleid aus violettem Nylon, das glänzte wie Satin. Gewohnheitsmäßig führten die Kinder Fritzls Befehle aus, ohne zu diskutieren. Das Mädchen stand auf, gehorchte.
,,Und jetzt geh schlafen.“
Mit feuchten Augen, das Kleid in der Hand, verließ es die Küche. Währenddessen hatte Fritzl Angelika angesehen.
,,Deine Schwester gehorcht. Und du wirst auch gehorchen.“
Angelika wehrte sich. Vorhin hatte sie ihn gekratzt. Diese Aufsässigkeit erregte ihn. Der gleiche Charakter wie
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