Claw Trilogy 01 - Fenrir
Fenrisulfr. Ihre Hallen erbeben, wenn sie deine Stimme vernehmen.«
»Warum nennst du mich so?« Der Name schien irgendetwas in ihm anzuregen wie die Glocke, die zum Stundengebet rief.
»Es ist dein Name.«
»Befreie mich aus diesem Verlies, Teufel.«
»Willst du denn frei sein?«
»Ich will frei sein.«
»Dann sollst du befreit werden.«
Auf einmal würgte Jehan wieder, er war dem Ertrinken nahe und hockte wieder in dem Becken. Im Dunklen war etwas neben ihm, der große Kopf drückte gegen ihn, der Atem strich ihm heiß über die Haut, und der gewaltige gequälte Klagelaut, der aus der Kehle drang, ließ ihm fast die Ohren platzen. Der Wolf war bei ihm, von dünnen, grausamen Fäden gefesselt. Dessen Qualen erfüllten ihn ganz und gar, er war nicht länger er selbst. Er war der Wolf und versuchte sich aufzurichten und gleichmäßig zu atmen, obwohl ihn die bösen Fäden hielten und schnitten. Hinter sich zerriss er die Fesseln und kratzte mit den Fingern an der Schlinge, die den Hals einschnürte, bis er das Seil ganz und gar beseitigt hatte.
Neben ihm lag etwas im Todeskampf. Der verführerische Takt eines stockenden Herzens, die Muskeln und Adern verkrampften sich, und er hörte den flachen, ersterbenden Atem. Wie von selbst reagierte sein Körper darauf. Er kämpfte sich durch das Wasser, um den köstlichen Rhythmus des Todes zu trinken, in sich aufzunehmen und ihm einen Ausdruck zu verleihen, wie ein Tänzer die Musik in Bewegung verwandelt.
Ein gewaltiger Schrei war zu hören; so nahe, dass er meinte, er habe ihn selbst ausgestoßen. Doch dem war nicht so. Es war der Mann gewesen, der an die Felssäule gefesselt war, und der unter Jehans Fingern und Zähnen starb. Noch mehr Lärm, ein neuerliches Heulen. Der andere Mönch kreischte, Jehan solle aufhören. Auch ihn brachte er zum Schweigen.
Als er fertig war, lag Jehan eine Weile im Wasser wie eine Leiche zwischen den anderen Toten, dachte nichts und fühlte nichts. Er fragte nichts und dachte nicht nach, als das bleiche Kind ihn an der Hand nahm und aus dem Wasser führte.
40
Eine geschäftliche Entscheidung
L eshii war unendlich müde. Das Feuer war warm und einschläfernd. Wie ein Greis beschäftigte er sich damit, Gesichter in den Flammen zu erkennen, während er über seine Möglichkeiten nachdachte.
Die einzige Hoffnung war, dass die Edelfrau ihm eine Art Entschädigung zukommen ließ, wenn sie nach Paris zurückkehrten. Aber wie sicher war das? Die Stadt war von einer Masse gieriger Dänen umzingelt wie der weggeworfene Rest einer Birne von den Ameisen. Wenn sie hineinwollten, mussten sie kämpfen, und dazu war Leshii nicht bereit.
Selbst wenn er hineingelangte, wie wollte er wieder herauskommen? Denn dabei würden ihm die Krieger nicht helfen. Nimm es hin, du Narr. Du bist jetzt ein armer Mann. All deine Mühen haben zu nichts geführt. Das sagte er sich selbst und war sehr verbittert.
Krieger, ob Franken oder Dänen, mochten es für eine Tugend halten, Großes zu erstreben und alles zu verlieren, aber so konnte er das nicht sehen. Er hatte sich vorgestellt, den Lebensabend in einem Innenhof zu verbringen und sich von der Sonne wärmen zu lassen. Er hatte angenommen, er könne sich einen Brunnen im römischen Stil bauen lassen, eine Frau haben, die für ihn kochte und putzte, und vielleicht noch eine Bettsklavin, wenn er es sich leisten konnte. All das hatte er nun verloren, und ihm blieb nur noch die Erinnerung an einen Traum.
Er fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ihn immer wieder die Angst auffahren ließ.
Wie lange konnte er noch auf den Handelswegen reisen? Natürlich konnte er sich seinen Lebensunterhalt verdienen und genug zusammenkratzen, um zu essen und eine bescheidene Unterkunft zu haben, aber ihm war klar, was ihm bevorstand, wenn die Augen versagten, wenn der Rücken zu schwach wurde oder die Knie einknickten, die ihm jetzt schon wehtaten. Er würde verhungern oder musste sich der Gnade des Perun-Tempels ausliefern. Das war keine schöne Art, den Lebensabend zu verbringen.
Die Wärme des Feuers lud ihn ein, abermals einzunicken. Auf einmal aber riss ihn ein Geräusch aus dem Dämmerschlaf. Es war der Ruf eines Vogels. Er sah sich um. Zwei Raben hockten auf dem schlafenden Franken. Alle Gefühle, die er bisher unterdrückt hatte, brachen auf einen Schlag aus ihm hervor – Zorn, Enttäuschung und Angst. Er nahm einen Stock, um ihn nach den Raben zu schleudern. Dann hielt er inne. Der Franke war Renier, der angedeutet
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