Claw Trilogy 01 - Fenrir
wirres Durcheinander. Nur eines schien völlig klar zu sein. Er hatte schon einmal Hunger gehabt und würde wieder Hunger bekommen.
Er folgte dem Mädchen. Warum? Weil sie ihm die Richtung wies. Wenn er schon die Blutgier nicht dämpfen konnte, die in ihm heranwuchs, so vermochte er wenigstens deren Auswirkungen zu lindern. Wenn er nach Norden reiste, konnte er keine Christenmenschen mehr töten. Deshalb, so wurde ihm nachträglich klar, hatte er sich auch geweigert, die Wikinger zu taufen.
Jehan versorgte das Feuer und zitterte vor Angst, wenn er an den Hunger dachte, der in ihm lauerte.
45
Blut im Sand
D ie Flussmündung war gewaltig, Meilen auf Meilen von glattem flachem Schlamm. Der Morgen färbte den Himmel perlmuttgrau, das Wasser war dunkelgrün. Die Fischer hatten Aelis und Leshii erklärt, an der Flussmündung gebe es eine Abtei und ein Dorf namens Saint-Valery, die sie zu Fuß erreichen konnten, und waren mit dem Boot nach Hause zurückgekehrt. Die Beschreibung der Fischer traf zu. Die Abtei, eine beeindruckende Gruppe von Gebäuden aus hellem Stein, stand auf einem langen, nach Westen zielenden Felsvorsprung und überblickte das weite Meer.
Das Kloster lag sehr günstig, von dort aus konnte man jeden Angreifer beizeiten ausmachen, doch der Aussichtspunkt hatte ihm offenbar nicht viel genützt. Drei Drachenboote waren davor auf das schlammige Ufer gezogen. Die niedrigen, schlanken und schnellen Schiffe wirkten tatsächlich wie Drachen, die schlafend auf dem glänzenden Boden lagen.
»Hier werden wir keine Händler finden«, meinte Aelis. Sie hockten hinter einigen Büschen am Strand.
»Nein«, stimmte Leshii zu. »Aber wir haben größeres Glück, als du glaubst. Komm mit.«
»Ich habe Angst.«
Leshii zuckte mit den Achseln. »Wir haben seit zwei Wochen keine Vögel mehr gesehen.«
»Dort sind drei Langboote voller Dänen«, wandte Aelis ein. »Unsere Erzfeinde. Selbst wenn du sie überzeugen kannst, uns mitzunehmen, ich kann auf dem Meer nicht wochenlang verbergen, dass ich eine Frau bin. Soll ich der einzige Mann an Bord sein, der nicht über die Seite pisst? Was wird mit mir – mit uns – geschehen, wenn sie es bemerken?«
»Das sind keine Dänen«, widersprach Leshii. »Ich erkenne es an den Schiffen.«
»Was sind sie dann?«
»Sie nennen sich die Söhne Freyrs, das ist der Gott, den sie anbeten. Es sind Inglinger, Skilfinger, Piraten und Händler aus Birka.«
»Und was haben sie in diesem Kloster zu suchen?«
»Sie bringen wahrscheinlich Tod und Zerstörung, aber ich glaube nicht, dass es bisher schon dazu gekommen ist.«
»Warum nicht?«
»Die Mönche passen auf, und wenn sie sehen, dass die Angreifer kommen, nehmen sie die Schätze mit und laufen weg. Die Angreifer können von Glück reden, wenn sie noch eine Ziege finden, die sie schlachten können.«
»Da werden sie aber schlechte Laune bekommen.«
»Wir werden sehen. Schau dir die Schiffe an. Fällt dir etwas daran auf?«
»Ich sehe nichts Ungewöhnliches.«
»Es springt nicht gleich ins Auge. Aus der Nähe könntest du erkennen, dass im Bug keine Drachen dargestellt sind, wie man von hier aus meinen könnte, sondern Schlangen.«
Aelis schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht näher an diese Leute heran.«
Leshii lächelte. »Ich kenne die Schiffe«, sagte er. »Ich kenne ihren König. Das ist unser bester Weg nach Ladoga, es ist wirklich ein ungeheurer Glücksfall, glaube mir. Dieser Mann da hat seinen Sitz in Birka und Ladoga. Ich kenne ihn persönlich und habe ihm einmal Seide verkauft.«
»Aber was willst du ihm erzählen?«
»Etwas, das der Wahrheit nahe kommt«, erklärte Leshii. Damit stand er auf und marschierte durch den Schlick zu den Schiffen. Das Maultier zog er hinter sich her.
Aelis blickte ihm einen Augenblick lang nach, sprach ein Gebet und folgte ihm.
Leshii stieß laute Rufe aus beim Laufen: »Große Skilfinger, Herren der Meere, Abkömmlinge von Vanaheimr, seid gegrüßt, meine Freunde, seid gegrüßt. Ich bringe euch großes Glück.«
Neun Krieger, drei an jedem Boot, standen auf, hielten die Speere bereit und zogen die Schwerter. Die Äxte hatten sie sich über den Rücken geschlungen.
»Ihr braucht eure Waffen nicht, Freunde. Ich bin es nur, Leshii aus Aldeigjuborg, und mein junger Diener. Wir sind unbewaffnet.«
»Dein Diener besitzt ein gutes Schwert, mein Freund.«
»Oh, das. Es gehört mir. Ich bin ein Händler und kein Krieger und trage es nicht gern selbst oder binde es auf das Maultier,
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