Claw Trilogy 01 - Fenrir
Wikinger war des Reisens überdrüssig und wollte zu seinem Volk zurückkehren. Deshalb würde er sie zu Helgi und den Rus bringen. Sie waren die Normannen des Ostens, und dort konnte er eine Weile sicher bei Menschen sitzen, die er verstand.
Sie blickte zum Kloster hinauf. Das Gefühl war verschwunden, die Kälte und der silberne Regen waren nicht mehr da, auch der Wolf rief nicht mehr. All das würde zurückkehren. Die Ungeheuer jagten sie immer noch, und ihr war klar, dass sich ihr irgendetwas in den Kopf gesetzt hatte, das dort wuchs und sie stärkte, während es sich gleichzeitig durch sie stärkte – die Symbole, die in ihr zu brennen, zu zischen und zu heulen schienen. Deren Gegenwart beunruhigte sie sehr. Wie hatte sie Moselles Pferd gesteuert? Wie hatte sie am Strand überlebt, obwohl ringsum der Tod seine Ernte einfuhr? Wie hatte Moselle sie gefunden? Hatte sie ihn gerufen, ohne es selbst zu wissen? War sie unversehens eine Hexe geworden, die der Teufel in Besitz genommen hatte? Bei diesem Gedanken wurde ihr übel.
Aelis folgte Ofaeti am Strand entlang und hinauf ins Kloster. Sie brauchte nach wie vor seinen Schutz, so unbehaglich sie sich in seiner Gegenwart auch fühlte.
53
Eine Geschichte am Lagerfeuer
E s war äußerst vorteilhaft, mit dem Raben zu reisen. Erstens besaß der Mann Stahl und Feuerstein, daher konnten sie sich wärmen und etwas zu essen kochen. Zweitens war er ein erfahrener Fallensteller und Fischer, so dass sie tatsächlich etwas zum Kochen hatten. Drittens die Tatsache, dass er Leshii vor den Banditen beschützte.
Der Wolfsmann hatte einen Hinterhalt meist schon Meilen vorher gewittert, und der Rabe stand ihm darin in nichts nach. Damit waren die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen aber auch schon erschöpft. Chakhlyk hatte lediglich mit erhobener Hand um Stille gebeten und einen Weg gesucht, um den Banditen auszuweichen. Hugin ging auf direktere Weise vor. Nachdem sie drei Tage durch den Wald gewandert waren, hob er die Hand und winkte Leshii, an Ort und Stelle zu bleiben. Dann stieg er ab und überließ dem Händler die Zügel seines Pferds.
Gegen Mittag verschwand er, eine Stunde vor der Abenddämmerung kehrte er zurück und saß wieder auf. Sie folgten dem Weg. Sechs Männer hatten in den Büschen gelauert, einer hatte noch ein Stück Brot in der Hand und saß aufrecht, im Auge steckte ein Pfeil mit schwarzer Befiederung. Zwei weitere waren rückwärts von dem Baumstamm gekippt, auf dem sie gesessen hatten. Von einem waren nur noch die Beine zu sehen, der andere hatte eine große Wunde am Hals. Die anderen hatten anscheinend noch die Zeit gefunden, die Waffen zur Hand zu nehmen – zwei Stäbe und einen Speer. Es hatte ihnen nichts genützt. Sie lagen niedergestreckt auf dem Weg.
»Gibt es noch mehr?«, fragte Leshii.
»Nein.«
»Woher weißt du das?«
Hugin deutete auf den Toten, von dem nur die Beine zu sehen waren. Leshii lenkte sein Maultier hinüber und sah es sich an. Der Mann war verstümmelt, im Gesicht fehlten große Fleischfetzen, die Augen waren nur noch rote Löcher.
Leshii warf Hugin einen Blick zu. »Ich nehme an, er hat dir nichts verschwiegen.«
Der Rabe ritt schweigend weiter.
Leshii hatte natürlich darum gebeten, die silbernen Dirham sehen zu dürfen, und der Rabe hatte sie ihm eines Abends am Lagerfeuer gezeigt. Für Leshii besaß Silber eine Schönheit, mit der sich Gold nicht messen konnte. Er hatte die Münzen durch die Finger gleiten lassen und dem angenehmen Klang gelauscht, der das Ende seiner Entbehrungen verhieß, als sie in den kleinen Beutel zurückglitten wie spröde kleine Fische in den Teich.
Was sollte ihn davon abhalten, dem Raben im Schlaf den Hals durchzuschneiden und ihm alles wegzunehmen, was er hatte? Er betrachtete den Mann, das verunstaltete Gesicht, das schlanke Schwert an seiner Seite, den grausamen Bogen auf dem Rücken. Er dachte an den verzweifelten Kampf des Wolfsmanns, der immerhin fünf Männer niedergemacht hatte, ehe die anderen ihn niedergerungen hatten, gegen den Raben am Flussufer.
»Händler, warum lachst du?«
»Gelegentlich belustigt mich meine eigene Dummheit«, erwiderte Leshii.
Sie saßen eine Weile schweigend da, während Leshii eine Ente verspeiste, die der Rabe mit einer Steinschlagfalle erlegt hatte. Das Feuer, auf dem sie das Tier gebraten hatten, war ein Risiko, weil es die Waldbewohner auf sie aufmerksam machen konnte, doch Leshii wollte es endlich einmal warm und trocken haben.
»Du hast mich noch
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