Claw Trilogy 01 - Fenrir
des Kindes unseres khagan zu ehren.«
25
Eine neue Identität
E s war nicht der Wind, der Jehan weckte, auch nicht die Kälte des klaren blauen Frühlingstags. Es waren die Stimmen der Nordmänner. Er hörte sie rufen, und einen Satz wiederholten sie viele Male: »Königsmörder, Königsmörder, wir finden dich!«
Die Augen taten ihm schrecklich weh und brannten. Er hob die Hände vor das Gesicht und blinzelte. Das zerfetzte Lid störte ihn nicht mehr, dies war ein anderer Schmerz. Immer wieder kniff er die Augen zu. Auf einmal bemerkte er ein Licht, ein verschwommenes Grün und Gold. Vor sich erkannte er eine vertikale Linie. Was war das? Ein Baum, eine große Eiche. Jehan hustete und schmeckte Blut. Er wandte sich nach links. Dort blitzte es hell, fast golden. Der Fluss.
Er atmete aus, stützte sich auf die Hände und vergewisserte sich, dass es kein Traum war. Ja, er konnte sich bewegen, er konnte sehen.
Schließlich stand er auf und taumelte zu einem Baum. Er war es nicht mehr gewohnt, aufrecht zu stehen. Vor seinen Füßen lag der tote Saerda, der Kopf war fast bis auf den Rücken verdreht. Jehan sank auf die Knie und betete.
»Allmächtiger Gott im Himmel, mein Vater, der du mich mit deiner heiligen Macht wohlbehalten zum Beginn dieses Tages geführt hast, hilf mir, dass ich nicht in Sünde verfalle, sondern in deiner Obhut meine Gedanken hüte und auf deine heiligen Gesetze richte, auf dass dein heiliger Wille geschehe.«
Jehan hatte in seinem ganzen Leben noch nicht geweint, aber jetzt tat er es. Gott hatte ihn aus den Fesseln seines Körpers befreit, und Jehan hatte die Freiheit sofort benutzt, um einen Menschen zu töten. Das Gebot war unmissverständlich: »Du sollst nicht töten.« Allerdings war der Wikinger ein Teufel gewesen, ein Feind Christi.
Jehan schlug sich die Hände vors Gesicht. Er war völlig verwirrt. Was geschah nur mit ihm?
»Ein Franke!«
Drei Männer rannten auf ihn zu, zwei waren mit Speeren bewaffnet, einer mit einer Axt. Er wollte auf sie warten und den Tod als Gottes Strafe hinnehmen, doch er konnte nicht. Seine Beine bewegten sich wie von selbst, zögernd zuerst, dann mit zunehmender Gewandtheit. Er rannte, zum ersten Mal seit seiner Kindheit rannte er.
Es war ein überwältigendes Gefühl – der unebene Waldboden unter den zarten nackten Füßen, die keine Schwielen hatten, die schimmernden Lichtflecken zwischen den Baumkronen, das vorbeifliegende Grün und Braun, als er vor den Verfolgern floh. Leider war er nicht daran gewöhnt. Er stürzte, stand auf, stürzte wieder. Endlich blieb er an einer Baumwurzel hängen, und sie holten ihn ein. Nun gab er auf. Er hatte sich gefügt, um sein nacktes Leben zu retten, er hatte unreines Fleisch zu sich genommen. Jetzt würde er den Tod und die unweigerliche Verdammung hinnehmen. Der Mensch musste sich dem Willen Gottes unterwerfen, wie auch immer der Herr entschied.
Die Verfolger umringten ihn mit geröteten, zornigen Gesichtern. Er war nicht daran gewöhnt zu sehen und etwas scharf anzublicken. Die Gestalten verschwammen und zerflossen, bis er sich von einem Kreis aus hellen Flecken umringt sah. Er musste sich auf das zurückziehen, was er kannte. Jehan schloss die Augen.
»Ist das der Königsmörder?«
»Der Kleidung nach ist er ein Mönch, wenngleich ein verwahrloster.«
»Der ist kein Mönch. Die schneiden sich doch die Haare so merkwürdig.«
»Was er auch ist, er ist ein Franke. Soll ich ihn töten?«
»Das wäre das Beste.«
»Warte mal, Junge.«
Jehan öffnete die Augen und sah einen dicken Wikinger mit einem großen rotblonden Bart, der sich durch die Reihen der anderen nach vorn schob.
»Bevor du ihn tötest, sollten wir uns fragen, ob er uns nicht nützlich sein könnte.«
Jehan erkannte die Stimme. Es war Ofaeti, der ihn aus der Kirche getragen hatte.
»Sprichst du unsere Sprache?«
Jehan wollte sich zurückhalten, nickte aber unwillkürlich.
»Wie bist du hergekommen? Gehörst du zu der Gruppe, die gestern Abend dem König einen Hinterhalt gelegt hat?«
»Der könnte gewiss niemandem einen Hinterhalt legen. Schau ihn dir doch an, er ist so gebrechlich wie eine alte Frau«, schaltete sich jemand anders ein.
Ofaeti hockte sich neben ihn. »Was ist aus eurem Beichtvater geworden? Er war völlig hinüber. Hat ihn der Rabe geholt? Nein, warte mal, der Schild da sieht aus, als gehörte er dem König. Die Pfeile erkenne ich auch.«
»Der König wurde nach seinem Tod beraubt. Vielleicht hat einer der Diebe
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