Clemens Gleich
gab es nur wenige. Es war einfach zu langweilig an diesem Ende der Welt.
Shardid blieb stehen. Er stand nun vor dem Haus der Wache. Früher einmal musste das einer wohlhabenden Familie gehört haben, vielleicht Bauernadel. Es war ein schickes Fachwerkhaus, das kaum Zeichen von Alter oder Verfall zeigte. Im ersten Stock hing ein Balkon aus der Fassade, der über die gesamte Gebäudelänge verlief. Bevor die Wache hier einzog, war der mal voller Blumen gewesen, zeigte ihm sein Visier anhand von überlagerten Augenzeugenaufnahmen aus dem Archiv. Mindestens einer der Wächter kümmerte sich anscheinend noch ein bisschen um den Balkon, denn ein paar Kästen mit gerupft aussehenden Geranien hingen dort oben noch. Der Dichter würde schreiben "ein schwacher Abglanz früherer Pracht"; Shardid gestand dem Blumenpfleger zu, eine respektvolle Hommage gewollt zu haben. Er trat in den Vorraum ein, in dem es muffig roch nach den Synonymen Beamtentum und Langeweile. Eine Wache warf vor Schreck beim Aufspringen die Papiere seines Tisches herunter, weil er so zackig salutierte. Shardid nickte ihr grüßend zu, begab sich zum Zimmer des Hauptmanns, klopfte dort höflich an und trat ein. Makorn stand über seinen Schreibtisch gebeugt. Jetzt ließ er sich in seinen Sessel sinken, Misstrauen aus jeder Pore strahlend. Der Bahnhofs-Befehlshaber war einer dieser Männer, die immer angestrengt misstrauisch aussehen, weil sie es meistens sind. Seine Augen starrten und selbst seine dunklen Haare wirkten, als seien die Haaraufrichtermuskeln stets angespannt.
"Was verschafft uns die Ehre?", fragte er nach einer angestrengten Pause.
"Die äußeren Umstände, wie immer", antwortete Shardid. Dann nahm er auf dem kargen Holzstuhl Platz, der vor Makorns Schreibtisch stand.
"Meinen Sie etwa das Gerede vom Krieg? Mit Felligen? Ist ja wohl ein schlechter Scherz." Der Hauptmann war ärgerlich.
"Ich bin tatsächlich wegen des Kriegs hier. Wahrscheinlich verstehen wir vor unseren verschiedenen Informationshintergründen nur jeweils etwas anderes darunter." Makorn lachte freudlos:
"Und was jetzt? Werde ich strafversetzt an die Front zum Haustiere verprügeln?"
"Ich versetze Sie zurück nach Romala."
"Wie überaus nett", sagte Makorn in triefendem Tonfall. Er presste die Fingerspitzen aufeinander. "Das wollte ich doch schon lange. Nein, eigentlich wollte ich da gar nicht weg. Haben sich unsere tollen imperialen Seher geirrt, hm?" Shardid ignorierte das in Stille.
"Was, wenn ich nicht wechseln will?" Makorn betrachtete seine Fingernägel, als wolle er sie gleich lackieren.
"Irrelevant", sagte Shardid kühl.
"Na toll!", rief Makorn mit hochgerissenen Armen. "Und in ein paar Monaten kommen Sie wieder an und versetzen mich in ein Wüstenlager oder auf eine schwimmende Insel mitten im Ozean!"
"Wenn es nötig wird, ja. Wenn Sie sich allerdings verhalten, wie es sich für einen imperialen Offizier gebührt, können Sie als Hauptmann der Wache in Romala bleiben, so lange es Ihnen gefällt. Weitere Versetzungen sind unwahrscheinlich." Shardid blieb ruhig, aber das war gespielt.
"Es könnte mir ein Fehltritt passieren." Makorns Tonfall hatte etwas Lauerndes.
"Möglich. Aber es wäre der letzte als Offizier."
"Bedrohen Sie mich?"
"Das muss ich nicht", sagte Shardid und rollte die versteckten Augen gen Himmel. "Sind wir fertig oder haben Sie noch mehr Fragen, die Sie sich ebensogut selbst beantworten können?"
"Wann muss ich hier weg sein?", fiel ihm ein. "Meine Sachen zu regeln und die Jungs vorzubereiten, das..."
"Sie haben drei Tage, um Ihre Dinge hier in Ordnung zu bringen und nochmal 80 Tage, bevor Sie sich in Romala zum Dienst melden werden. Für Ihre persönliche Habe dürfen Sie die imperiale Eisenbahn benutzen. Den Fahrplan kennen Sie ja."
"Ihr kleinen...", knurrte Makorn, doch Shardid unterbrach ihn sofort:
"Gefällt es Ihnen nicht, am Leben zu sein, mit der Aussicht auf einen sicheren Job in der Stadt, in der Sie aufgewachsen sind, die Sie kennen und mögen?"
"Das hat doch..."
"Dann fangen Sie mit Ihren Vorbereitungen an. Es gibt tatsächlich genug Kanonenfutterstellen für ausrangierte Offiziere, die ich Ihnen sofort aufzwingen könnte. Oder ich könnte Sie töten, die Vollmachten dazu habe ich ebenfalls. Das Ministerium hätte sie jedoch lieber lebend bei der Stadtwache in Romala. Wir wissen, was Sie wert sind beziehungsweise besser: wert sein können und geben Ihnen dort Gelegenheiten, von Ihrer Anfangsposition aus aufzusteigen. Aber
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