Clemens Gleich
innezuhalten.
"Wie sieht es aus?", fragte Laocoon beherrscht freundlich.
"Schlecht!", bellte der Riesenkerl, schwabbelnde Schockwellen über die See seines Körpers schickend. "Die unfähigen Seher haben mir gestern Abend erzählt, sowas wie ein Bauernhof" – hier rotzte er verächtlich einen Klumpen Schleim aus – "würde eine Rolle spiel'n in mei'm geplanten Vormarsch. Ein Bauernhof!" Vor Aufregung schnaufend wischte er sich die Stirn ab.
"Was genau für ein Bauernhof?", fragte Laocoon höflich.
"Das interessiert mich nicht, ich lass' mich doch nicht von diesen Würstchen verarschen!" Laocoon wischte sich pseudodiskret die schaumigen Speichelfetzen aus dem Gesicht, die dieser Ausbruch dort hingeschleudert hatte, bevor er antwortete:
"Vielleicht kann ich die Seher mal sprechen und herausfinden, was sie eigentlich..."
"Nein!", bellte das Fett.
"Warum?" Laocoon sagte sich innerlich ein ständiges Mantra vor: Sachlich bleiben, sachlich bleiben, sachlich bleiben...
"Ich hab' diese Hundesöhne aufgespießt und gebraten und fast fertig gegessen", sagte das Monster und winkte dabei mit einer gebratenen Keule, die jetzt nicht mehr so appetitlich schien wie vor seiner Antwort.
"Das war...", begann Laocoon. 'Unklug' zu sagen wäre selber unklug, daher beendete er seinen Satz diplomatisch mit: "...ein interessanter Zug. Und was macht ihr als Nächstes?"
"Wir gehen in Stellung, wie ich es die ganze Zeit schon vorhatte!" Als wolle er damit seinen Satz unterstreichen, biss er schwungvoll, sabbernd in seinen scheußlichen Schenkel.
"Ich möchte hier an unseren Plan erinnern, unsere Abmachung. Wir müssen koordiniert zusammen vorgehen, sonst werden wir beide untergehen."
"Willst du mir drohen?!", geiferte das Monster. Laocoon gelang es, nur mental mit den Augen zu rollen.
"Ich erinnere lediglich an die Tatsachen der Zukunft", sagte er. "Als nächstes werde ich mich mit meinen Leuten beraten über diese seltsamen Seherhinweise." ...und die bescheuerte Reaktion darauf, fügte er in Gedanken hinzu.
"Pfah!", spuckte das Monster. Ein feuchter Streifen Seherfleisch landete links von Laocoon. "Beraten! Komm wieder, wenn es Zeit zum Handeln ist!"
"Oh, das werde ich, keine Sorge..." Laocoon verbeugte sich zum Abschied theatralisch, weil jeder subtile Spott hier ohnehin so spürbar war, als salze man ein Meer. Er hasste diesen Fettsack. Er war dümmer als ein Eimer Kuhdung und so subtil wie ein Vulkanausbruch. Seine Position hatte er sich durch seine einzige in großen Mengen vorhandene Tugend erworben: Gewalttätigkeit. Aber manchmal war man eben auf solche Ressourcen angewiesen. Laocoon hoffte, dass wichtigere Gewalttätige (von denen es immerhin noch zwei gab) aus dem Protokoll dieses Gesprächs die richtigen Schlüsse zogen. Allerdings tat er sich selbst schwer, daraus schlau zu werden. Bei diesem "Bauernhof" jedenfalls verstand er selbst nur Bahnhof.
Ein herrlicher Morgen, kühl, mit dem wärmenden Versprechen der Sonne auf spätere Hitze. Ein kleiner, alter Bauernhof, auf dem ein kleiner, alter Bauer Chubmist schaufelt, bis ihn ein knisterndes, raschelndes Geräusch wie von Papier innehalten lässt.
"Hallo, guter Mann!", rief ein gut gelaunter Shardid.
"Hallo!", grüßte der Bauer freundlich zurück. "Was verschafft mir die Ehre, das Ministerium auf meinem bescheidenen Hof zu empfangen?"
"Eben dieser bescheidene Hof", sagte der hochrangige imperiale Beamte und streckte die Hand aus. "Darf ich mich vorstellen? Ich bin die Stimme Shardid Rooth."
"Danus Feyerabend", sagte der Bauer und ergriff die ihm gebotene gepflegte Hand mit einer schwieligen Landarbeiterpranke. "Sehr erfreut."
"Die Freude ist ganz meinerseits", sagte Shardid. Er meinte es sogar so. "Ich entschuldige mich für meine unangemeldete Störung. Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit." Danus lehnte seine Schaufel an den Lattenzaun und klopfte sich die Hände an der braunen Hose ab.
"Dann mache ich uns Tee", sagte er entschlossen, als handele es sich um die entscheidendste Tätigkeit des Tages. "Kommen Sie, wir setzen uns auf meine kleine Veranda!" Lächelnd folgte Shardid ihm. Durch sein Visier sah er einen eher kleinen, aus praktischen Gründen komplett in braun gekleideten Mann mit einem erstaunlich gut gepflegten Bart im Gesicht, der zu etwa gleichen Teilen aus braunen, grauen und weißen Haaren bestand. Er hatte saphirblaue Augen, von denen ein Dichter schreiben könnte, sie seien hinabgetropfter Himmel, weil sie ständig nach dort oben
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