Clemens Gleich
schauten. Das Visier verriet ihm jedoch noch einiges mehr. Der Mann hatte dieses einfache und gerade dadurch zufriedene Leben gleich zwei Mal gewählt. Das erste Mal sollte es ihn glücklich machen. Das zweite Mal sollte es ihn davor bewahren, durch fruchtloses Grübeln unglücklich zu werden, denn vor dem zweiten Mal starb seine Frau Ilsa. Die Farm hatte er vor langer Zeit von Erspartem plus einer kleinen Erbschaft gekauft. Er hatte dort die meiste Zeit seines Lebens verbracht und würde nach einer Seher-Prognose dort einen vergleichsweise angenehmen Tod sterben. Es gab keine Erben.
Sie hatten jetzt die Veranda erreicht, und Shardid streckte sich zufrieden auf dem ihm zugewiesenen, blümchenbepolsterten Liegestuhl aus. Seine gesamte Gestik, seine unterm Visier erkennbare Mundmimik, alles sprach von einer Symphonie ausgeglichener, geradezu selbstzufriedener Emotionen. Er ließ seinen Blick über die Gegend schweifen: eine Ebene voll wiegendem Gras und einigen Wäldchen, die backbords in einiger Entfernung von einer gewaltigen Bergkette flankiert wurde. Ein einsamer Ort. Die nächste Siedlung war fast einen Tagesmarsch entfernt. Selbst die nächste Farm erreichte man erst nach einem halben Tagesmarsch. Am beinahe schmerzhaft blauen Himmel flüchteten die Schäfchenwolken vor ihrem Hund, dem Wind. Nach menschlichen Maßstäben war es friedlich, fast vollkommen still. Nur ein paar Schwalben fingen die summenden Insekten. Stechinsekten, stellte Shardid fest, als eines gierig seinen Hals ansteuerte. Er verbrannte es reflexartig, bevor er wieder in seinen Landschaftsbetrachtungen versank. Die ganze Gegend hatte etwas Verwunschenes. Überall lagen moos- und flechtenüberwucherte Findlinge herum, von den Bäumen hingen lange Bartflechten. Bartflechten? Er vergrößerte den Baum für einen genaueren Blick. Ja, Bartflechten. Er verschränkte die Arme und sonnte sein lächelndes Kinn.
"Schön, dass es Ihnen gefällt", sagte der Bauer, als er mit einem Tablett voll dampfendem Tee, den feinen kleinen Tassen und kleinem Süßgebäck wieder auftauchte.
"Ja, an dieses Fleckchen könnte ich mich gewöhnen." Shardid streckte die Arme, als wolle er die Aussicht umarmen.
"Sie finden bestimmt auch sowas für Ihren eigenen Ruhestand", sagte Danus. Er goss beiden Tee ein und stellte den Keksteller in die Mitte des kleinen Holztischchens zwischen ihnen. Shardid bediente sich.
"Einen Ruhestand gibt es für uns nicht", sagte er kauend. "Es gibt vielleicht eine Ausnahme, einen eigenen Weg, aber normalerweise gilt: Einmal Stimme, immer Stimme, und wenn es als alter Veteran in der Ausbildung der nächsten Generation ist. Wir arbeiten bis an unser Lebensende."
"Wie ich", sagte Danus. Es war keine Klage.
"Ich denke, verglichen mit dem Schnitt können wir uns beide nicht beklagen." Shardid schlürfte Tee. Danus antwortete nichts. "Es mag ein hartes Leben sein, es gibt definitiv tragische Verluste, doch am Ende denke ich, wir würden beide bei einer neuen Chance wieder dieselben Entscheidungen treffen."
"Das stimmt. Mir gefällt, was ich mache." Danus war klar, dass die Stimme über Ilsa Bescheid wissen musste, deshalb war er froh, dass dieses Thema nur indirekt zur Sprache kam. Er hatte die verzehrende Trauer über ihren Tod überlebt, indem er sich mit Arbeit von giftigem Gegrübel abgehalten hatte. Sie starb in einem der gelegentlich aufschäumenden Grenzscharmützel mit den Waraii, die hinter der imperialen Grenze, hinter dem Gebirgskamm spukten wie jene Art Monster, mit denen man Kindern droht, die ihr Gemüse nicht essen wollen. Ein verirrter Schuss aus einer dieser modernen Waffen, die Danus nicht verstand, aus einer unbegreiflichen Entfernung, die ihren Tod erscheinen ließ, als hätte ein Gott sie aus den Wolken mit dem Blitz erschlagen. Sie hatten beide um die Gefahren des Lebens hier gewusst. Er hatte das mittlerweile verarbeitet. Nur darüber reden wollte er eben auch nicht.
"Aber was führt Sie denn nun zu mir?", fragte er also.
"Ich schlage vor, dass Sie die Farm verkaufen", knallte Shardid ihm hin, sich an der erschreckten Reaktion ergötzend.
"Verkaufen?! Aber was soll ich dann machen, wovon leben?"
"Verkaufen und hierbleiben", beruhigte ihn die Stimme. "Der neue Besitzer soll die Farm lediglich mit bewirtschaften und Sie damit entlasten. Das Imperium verspricht Ihnen, dass Sie hierbleiben können, solange Sie wollen und leben."
"Hm." Pause. "Hm. Was ist der Haken?"
"Es gibt keinen Haken." Shardid nahm sich die Zeit,
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