Clemens Gleich
wollten nämlich nicht mehr von ihm als, nein, nicht sein Geld, davon hatte er auch nicht viel, sondern sein Haus. Dort fanden oft wilde Parties statt, meist gegen den Willen des Besitzers, der nur einfach nicht "Nein" sagen konnte. Mit Jianna hingegen konnte er reden, lachen, ein bisschen Wein trinken, ja allgemein ein bisschen die Seele in Gesellschaft baumeln lassen. Nur: Was wollte sie mitten in der Nacht von ihm, das unbedingt einen Eintritt übers Fenster erforderte? Milo wagte sich zurück. Er öffnete das Fenster, um festzustellen, dass in der lauen Sommernacht draußen nur noch ein paar Grillen vor sich hinzirpten. Es klopfte an der Tür. Das war doch immer noch genau so wie in diesem Gedicht! Doch mit der Gewissheit, dass eine Freundin in eventueller Bedrängnis statt ein namenloser Diener der Nacht Einlass forderte, verdrängte er die Erinnerung und hastete zur Tür. Routiniert schaltete er das Außenlicht ein, um durch das Guckloch die Besucher zu inspizieren. Es war wirklich Jianna. Das beruhigte ihn. Sie war in Begleitung einer mysteriösen, verhüllten Gestalt. Das beunruhigte ihn.
"Mach das Licht aus! Mach das Licht aus, du Depp!" Jianna versuchte, gleichzeitig zu schreien und zu flüstern. Peinlich berührt löschte er die Leuchten, bevor er vorsichtig die Tür öffnete. Er war aus purer Gewohnheit beschämt, da er sowieso immer davon ausging, alles falsch zu machen. Jianna drängte hinein und umarmte ihn kurz zur Begrüßung.
"Hallo, Milo. Das ist Pikmo. Lass uns schnell rein, bevor jemand was sieht."
"Hallo, Milo." Pikmo schüttelte dem wie so oft unfreiwilligen Gastgeber die Hand. In der dunklen Eingangshalle half Milo Jianna, den Rucksack abzunehmen und hängte Pikmos Umhang auf den Kleiderständer. Dann herrschte diese leicht betretene Stille, aus der es nur einen Ausweg zu geben schien:
"Äh, will jemand was trinken?", offerierte Milo.
"Ja, kann ich einen Kräutertee haben?", fragte Jianna.
"Klar. Und dein, äh, Begleiter?" Milo sah den, äh, Begleiter an. Er fand ihn ziemlich blau.
"Ich brauche etwas Wasser", sagte der prompt. Er intonierte betont freundlich, weil seine Mimikinterpretation befand, Milo sehe aus, als wolle er gleich losheulen, dabei war das nur der Standardgesichtsausdruck des Malers. Nichtsdestoweniger war er sich für ein paar erpressende Tränen nicht zu schade, würden seine männlichen Freunde sagen, wenn er welche hätte. Diese imaginären Freunde täten ihm außerdem unrecht, weil Milo die Tränen keineswegs herausquetschen musste, sondern tatsächlich mit seinem Östrogenpegel zu kämpfen hatte.
"Wasser und Tee, kommt sofort. Wollen wir uns in die Küche setzen?", schlug er vor. Jianna zögerte einen Moment.
"Ja, aber mach vorher die Fensterläden zu, in Ordnung?"
"Sind schon zu. Ich hab's nur im Arbeitszimmer vergessen." Milo schlurfte vor ihnen her in die Küche. "Wo brennt's denn, dass du mitten in der Nacht hier aufkreuzt?" Sie flezte sich bequem auf ihren Lieblingsplatz auf der Bank unter dem Fenster und lehnte sich schräg auf den kleinen Holztisch.
"Wie du dir bestimmt schon denken kannst, geht es um meinen Freund Pikmo hier."
"Mm-hm", machte Milo. Er stand mit dem Rücken zu ihr an der Spüle, mit Flüssigkeiten hantierend. "Hast du geerbt, dass du dir auf einmal sowas leisten kannst?" Jianna schürzte die Lippen. Wie pietätlos!
"Milo, du weißt doch, dass ich mich für die Rechte der Felligen stark mache! Ich würde nie die Bioindustrie unterstützen, selbst wenn ich das Geld hätte, was aber nicht der Fall ist." Reflexartig schämte sich Milo.
"Ach ja... Oh, wie dumm von mir! Ich habe doch sogar die Plakate für euch gemalt, wie konnte ich nur so rücksichtslos sein? Es tut mir leid, bitte glaub mir, es tut mir wirklich wahnsinnig leid, ich..."
"Ist ja gut", unterbrach sie ihn, "es ist mitten in der Nacht, da kann man sowas schon mal kurz vergessen."
"Nein, also, ich weiß gar nicht, wie mir das entfallen konnte. Ich verspreche dir, das kommt nicht wieder vor, ich verspreche dir, in Zukunft..."
"Halt die Klappe", zügelte sie ihn sanft, "Hör auf, dich immer so ausschweifend zu entschuldigen. Hör mir lieber zu."
"Ja. Klar. Tut mir leid. Entschuldigung, ich wollte mich ja nicht entschuldigen. Gut. Äh. Ja. Rede weiter."
"Also, Pikmo ist als gestohlen gemeldet..." Lautes Klirren übertönte das Gespräch, denn Milo hatte vor Schreck eine Tasse in sein Spülbecken geworfen. Er starrte sie an.
"Was? Äh! Was?! Aber... Aber! Hast du...? Wie?
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