Clemens Gleich
Es war, als lese Pikmo es mit einer mentalen Lupe aus seiner Erinnerung ab.
So sah sie also aus, doch wie sollten sie die geheimnisvolle Dame finden?, fragte sich Jianna. Sie konnte ja kaum mit dem Bild durch die Stadt marschieren und fragen, vor allem nicht mit Pikmo im Schlepptau.
"Weißt du denn ungefähr, wo sie wohnt?", fragte sie Pikmo.
"Ja." Er fummelte einen knittrigen Zettel hervor. "Sie wohnt da." Verwundert nahm Jianna das Papier entgegen.
"Eine Adresse... Ganz schön weit weg. Woher hast du die?" Pikmo sah sie einfach an. Exakt, zu exakt in dem Moment, in dem sie die Frage wiederholen wollte, schnitt er sie ab:
"Sie hat sie mir gegeben." Jianna war sprachlos. Jeder anderen Person hätte sie in dieser Situation sofort eine Lüge unterstellt. Doch Fellige, die konnten doch nicht lügen...
"Du lügst!", schrie Efin und rannte dem blauen Fellbündel hinterher auf die offenen, warmen Wiesen. Als Antwort erhielt er nur ein dreckiges Lachen. Er schrie vor Wut, fiel dann seltsamerweise in das Lachen mit ein, zog seinen Bogen und schoss im Laufen einen Pfeil nach dem anderen durch das hohe Gras in die ungefähre Richtung seines Peinigers. Ein Fauchen, dann ein dumpfer Schlag zeugten von seinem Erfolg. Efins riesige, glasig wirkende Suppentelleraugen wurden vor Freude noch größer. Mit einem letzten Sprung erwischte der hagere Mann ein haariges Bein, zog es zu sich und warf sich dann im Triumph auf seine Beute:
"Hab ich dich, Pi, du dreckige Missgeburt!" Die dreckige Missgeburt lachte einfach weiter, trotz ihrer eher unbequemen Lage: unter Efin, mit einem Pfeil im Rücken.
"Du hast bei meiner Frau gelegen!", brüllte Efin, trat Pi von sich und zielte mit seinem letzten Pfeil auf ihn. "Du hast bei meiner Frau gelegen! Du hast..."
"Ja, ja, ja!", sagte Pi mit aller Ruhe der Welt in seiner Stimme. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Das war wenig beeindruckend, denn seine Stirn hörte dort auf, wo Efins Kinnbärtchen anfing. Nur Pis grotesk großen Ohren verhalfen ihm zu einer präsentablen Größe auf der Messlatte. Trotzdem er eigentlich blau und kätzisch war, erinnerte er mit diesen beiden Landschaftsmerkmalen an seinem ebenso überproportionierten Schädel eher an einen Kobold als an ein Tier. Er hob die Hände in einer abwiegelnden Geste und sagte dann mit beruhigend geschlossenen Augen gönnerhaft:
"Efin, ich verstehe deine tiefe Bestürzung und deine Aufregung, aber hier liegt ein Irrtum vor." Er pausierte – des Effekts wegen. "Ich verzeihe dir sogar diesen Pfeil, den ich mit nichts in der Welt verdient habe." Er blutete demonstrativ. "Aber ich bitte dich, als dein Freund: Lass mich dir deinen Irrtum erklären!" Efin sah ihm in die riesigen gelben Glubschaugen, die selbst seinen in Sachen Größe den Rang abliefen.
"So ein Schwachsinn! Ein Irrtum! Ich habe euch gesehen! Ich habe euch gehört!" Efin zitterte. Pi trat auf ihn zu, immer noch Ruhe mit seinen Händen kommunizierend. Die Geste wurde durch die Krallen an seinen Pranken etwas zunichte gemacht, aber die konnte er nicht einziehen. Eine Missgeburt eben.
"Efin, Efin, Efin... Efin. Ich weiß, was du gesehen und gehört hast, und wie tief es dich beleidigt haben muss." Pi trat mit einem Flehen in den Augen noch einen Schritt auf den Bogen zu. "Aber lass mich dir deinen Irrtum erklären!" Ein Funken Hoffnung erglomm in Efins schmalen Gesicht. Er ließ Pi noch näher kommen.
"Es war nicht deine Frau", stellte Pi mit einer Stimme fest, die ruhig wie ein Felsen in Efins aufgewühlter Emotionssee stand.
"Es war nicht Ninsbe?", fragte Efin, auf eine gute Antwort hoffend. Pi lächelte versöhnlich dazu.
"Doch", sagte er dann mit zähnefletschendem Grinsen, "Es war Ninsbe. Aber sie ist nicht deine Frau; nicht mehr. Sondern meine!" Pi lachte. Efin schoss. Es passierte nicht viel außer dem "Twoing" der Sehne. Pi wackelte mit den Pfeilen in seiner Pratze vor Efins Nase herum.
"Siehst du jetzt deinen Irrtum ein? Ich habe nur mit meiner Frau gespielt, was mein gutes Recht ist", lachte Pi und rannte los. Efin nahm unter lautem Geschrei die Verfolgung auf.
"Und sie bittet mich so oft darum!", krakeelte Pi.
"Aaahr!", antwortete Efin.
"Ihr voriger Mann war anscheinend ein totaler Versager!"
"GAAAaaah!!"
"Was regst du dich so auf? Ich will dir nur von meiner neuen Frau erzählen! Du, ich glaub, die ist so billig, ich werd sie mal bei den Jungs rumleihen für ein bisschen Kraut."
"WAAAaaaah!!"
"Was ist los? Soll ich sie dir auch mal
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