Clemens Gleich
Kammer ihres Wachfelligen, den die Familie zu diesem Anlass weggeschickt hatte. Im Salon las die Hausherrin indes die Schlagzeilen im Täglichen Echo: "Aufstand der Felligen? Ministerium bereitet sich auf einen Krieg vor", stand dort, begleitet von einigen weiteren Artikeln, die zwar nichts Neues brachten, aber das Thema mit Meinungen, Vermutungen, Hintergrundgedanken, Extrapolationen und anderen publizistischen Ballaststoffen am Leben hielten.
Vor der Biorecycling-Anlage standen die Überängstlichen Schlange, die ihre Felligen schlecht behandelt und damit die größte Angst vor ihnen hatten. Das Biorecycling eines Felligen war kostenfrei, beziehungsweise: schon im Kaufpreis enthalten. Trotzdem konnte der zuständige Techniker nur den Kopf schütteln angesichts so einer Verschwendung.
Im Zentrum der Stadt, im Ministerium, im schummrigen Raum der Seher beriet man über die aktuelle Situation der imperialen Biolabors. Die Zahl der Neubestellungen war ins Bodenlose gefallen. Massen von Kunden versuchten, bestehende Aufträge zu stornieren oder in Schwebe zu setzen. Es musste gar nicht überall unreflektierte Angst im Spiel sein, aber es fehlte jegliche Klärung, jede Sicherheit, und das ließ die Leute abwarten.
"Das ist nicht tragisch", sagte ein Seher, "Wenn das alles geklärt ist, werden die Verkäufe wieder steigen." Die Prognose war handwerklich sauber erledigt und korrekt, das sagte ihm die Erfahrung, der Verstand. Sein Herz glaubte denen dennoch nicht.
Etwas weiter weg vom Zentrum erzählte Helwer in der Ausnüchterungszelle stolz, dass er von FAK sei und damit ein politischer Gefangener. Das beeindruckte die restlichen Insassen weniger, die mit beiden Begriffen nichts anfangen konnten. Helwer erklärte es gerne. Wider Erwarten brachte ihm das keine Sympathien, im Gegenteil. Eine lebhafte Diskussion entfachte. War es nun Helwer, der Schuld war an der ganzen Misere? Einer der Einsitzenden wollte sich gar, sollte er mal zu Geld kommen, eine Hasenfrau leisten. Dazu riet ihm ein konservativerer Knastbruder, doch lieber ein Haus zu kaufen. Andere dachten in größeren Maßstäben: Wer bringt den Müll weg? Wer erledigt die schweren Knochenarbeiten in den Minen, die nicht bezahlt werden? Wer arbeitet in den Giftfabriken? Es gab eine ganze Reihe von Nebennutzen aus der Serienproduktion von Felligen, und zu Helwers Pech waren die meisten davon in der Zelle bekannt. Die vorher schon gereizte Stimmung fing an, bedrohlich umzuschlagen. Körperliche Gewalt lag als eine Art Watschengewitter in der stickigen Luft, nur darauf wartend, sich an ihm zu entladen. Es wurde laut in der Zelle, laut genug, dass Yens van Erster dazukam und Helwer zu seiner eigenen Sicherheit entlassen musste. Er drückte dem Aktivisten ein paar saftige Geld- und Arbeitsstrafen auf, bevor er ihn unsanft hinauswarf. Diesmal fehlte ihm die Motivation, nochmal in die Wache zu marschieren. Ein paar dieser Häftlinge waren ja regelrecht gemeingefährlich.
Draußen traf er auf einen irritiert wirkenden Reporter, dessen Gesicht er erkannte, weil es prominent über diversen Kolumnen prangte: Salvin Huntgeburth. Salvin sammelte Notizen in seinem Gedankenfänger, bis er bemerkte, dass ihn jemand anstarrte.
"Du bist doch von diesen militanten Aktivisten, oder?", fragte er den Gaffer. Helwer fand diese Bemerkung mehr als unpassend und FAK überhaupt nicht militant. Er fand aber außerdem die Aufmerksamkeit der Presse verführerisch, deshalb hielt er den Mund. Dieser Mann hier war der Autor der meisten interessanten, brisanten Geschichten der letzten Zeit, soweit es Helwer anging. Salvin bemerkte, genoss die großzügig von Helwer abstrahlende Aufmerksamkeit, und die beiden begannen mit einiger rhetorischer Akrobatik, sich gleichzeitig gegenseitig in den Arsch zu kriechen. In Salvins Gedankenfänger entstand schon der Artikel für die morgige Ausgabe: "Fellige mit freiem Willen: Wir haben es ja gesagt! Felligenrechtsorganisation packt aus." In ihrer sich gegenseitig befruchtenden Begeisterung merkten sie nicht, dass Yens van Erster mit hochrotem Kernschmelzekopf hinter ihnen aufs Pflaster getreten war. Seine Explosion vertrieb die beiden endlich. Insgesamt war es ein rabenschwarz schlechter Tag für den Wächter. Wo war eigentlich der Hauptmann?
Der Hauptmann flatterte im befensterten Körper einer riesigen Libelle schnarrend über weitläufige Wiesen. Auf dem anderen der beiden Sitzplätze saß Magnus Palankin am Steuer. Unter ihnen zog die Geographie der
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