Clemens Gleich
wechselte, wurde klar, dass Telemann ein ewiges Schlitzohr und das gewaltigste Großmaul war, das je in einer so kleinen Packung gesteckt hatte. Seine Lebenseinstellung war eine Art hoffnungsvolle Verzweiflung, abgerundet mit einem guten Schlag Selbstironie. Er war vor langer Zeit auf der Flucht (ein häufiger Seinszustand für ihn) versehentlich durch eine Weltenscheide geflogen und hatte sich bei nächster Gelegenheit einen Job als Navigator herbeigeschwätzt. Er kannte mehr Geschichten als das Jahr langweilige Stunden hatte, doch als er sich gerade so richtig in Rage reden wollte, rollte sich schon oben in der Kuppel eines der großen Blätter ein, den Ausgang für sie freigebend. Mondlicht fiel herein. Pi schwang sich in den Sattel, Telemann setzte sich auf Pakos Kopf. Beide rutschten langsam unter großen Gekicher wieder ab, dann fiel der Drache um. Beim dritten Versuch bildete sich ein dynamisch stabiles Gleichgewicht im Schwanken. Pako startete und peilte in mottenartigen Schlangenlinien die Ausflugluke an.
"Dieser Helfer von hier", fing Telemann an, "mit welchen Tricks arbeitet der? Ich meine, das müsste ihn ja identifizieren." Pi sagte gar nichts. Er dachte driftend an gute Zeiten, denn durch die Wolken seines Rausches stiegen gerade Erinnerungen an ebensolche auf, die meisten davon mit Fuzz. Gegen seinen Willen musste er grinsen. Was war das für ein Abend gewesen, als sie zusammen in diesen Harem eingebrochen waren...
Vor der Morgendämmerung würde das Schiff wahrscheinlich nicht ablegen. Leise erzählte Fuzz, wie er mit Pi einmal ein Traumschloss geknackt hatte, in dem alles voller wildgewordener Pixies war. Jianna erinnerte sich an die empfindlichen Reaktionen vorher und ließ ihn daher ohne weitere Rückfragen über seinen seltsamen Freund reden. Das für Pikmo Spannende waren die Teile mit dem Feuerball und den Fenstern, Jianna hingegen horchte auf, als sie hörte, was das Traumschloss schützte: einen Harem. Sie bereute das Aufhorchen, als Fuzz die Details darlegte. Die würde sie so schnell nicht vergessen. Glücklicherweise wechselte Fuzz an dieser Stelle das Thema und erzählte von Pi, von der inneren Zerrissenheit einer Kreatur, die eine Art buckliger Verwandter von Pikmo zu sein schien, soweit das unter Felligen überhaupt möglich war. Unerwarteterweise wurden sie hier unterbrochen, denn das Schiff wurde gestohlen.
Kapitel 7
Auf dem Schriftweg
...worin ein Mädchen erpresst werden soll ~ Helwer muss ins Gefängnis ~ Eine riesige Libelle ~ Jianna hat ein Klo-Problem ~ Salvin findet Pikmos technischen Vater
In Romala saß Salvin Huntgeburth an seinem Redaktionsschreibtisch und studierte die heutige Post. Zügig schob er eine Mitteilung nach der anderen weg, denn er suchte etwas. Da! Gefunden: Post aus Paltberg. Um weiter frische Stories zu bringen, hatte Salvin sich in Paltberg, der Heimatstadt der Siebenrings, etwas umgehört, oder besser gesagt: eine bezahlte Kontaktperson hatte das getan. Konkret hatte sie Informationen über ein Dienstmädchen der Siebenrings eingeholt, indem sie alte Schulkameraden ausgefragt hatte. Salvin sah das Dienstmädchen manchmal, wenn es Besorgungen in Romala im Auftrag der Siebenrings machte. Sie machte den Eindruck eines starken Charakters, der aus vergangener Schwäche gewachsen war, und der Brief bestätigte diesen Eindruck. Mara Millwell, so ihr Name, war nach diesem Dossier damals in der Schule das typische stille Mädchen gewesen, das Ausnutzer gern ausnutzen. Ihre Schulkameraden waren allgemein der Ansicht, sie sei leicht zu haben gewesen. Eine Frau, die sich selbst als ehemals "gute Freundin" bezeichnete, hatte noch herausgefunden, dass Mara eine (zugegebenermaßen kurze) Zeitspanne Kleinigkeiten aus Läden hatte mitgehen lassen, vielleicht, um sie zu haben, vielleicht, um rebellisch zu sein oder um anzugeben. Dieselbe Person erzählte Salvin über das Medium Papier auch, dass sich Mara schon immer einen Felligen wünschte, weil der so gemacht werden konnte, dass er nur sie lieben würde. Einerseits ein verlockender Gedanke, wenn man immer wieder als billiges Absprungbrett aus der Unschuld missbraucht wird, andererseits: Wer wollte denn heutzutage keinen Felligen? Salvin dachte kurz nach. Na gut, im Augenblick gab es da eine Menge, aber das lag eher an ihm, oder vielmehr: seinen Artikeln.
An einem anderen Schreibtisch saß Wächter Yens van Erster auf Bereitschaft. Niemand saß gern auf Bereitschaft, wenn er jedoch an seine grausam ermordeten
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