Cleo
vielleicht steckte in diesem Tier ja etwas von ihrem Wesen. Als ich mich endlich mühsam über das rutschige Pflaster an einer Seite der Kirche entlanggekämpft hatte, war die Katze verschwunden.
Eine selbstgefällige Schildpattkatze streckte sich vor dem offenen Kamin in der Wohnung eines Professors und gähnte. Sie öffnete ein Auge, leckte sich übers Maul, strich sich mit der Pfote träge über ein Ohr und schlief ein. Sie fuhr die Krallen aus und ein. Ihr Schwanz zuckte. Sie träumte ganz offensichtlich von Mäusen.
Während der ersten Wochen war ich so sehr mit meinem Heimweh beschäftigt, dass ich für Forschungen kaum Zeit hatte. Jeden Tag schrieb ich Philip und schickte den Kindern Postkarten und auf Band aufgenommene Briefe. Cleo tauchte regelmäßig in meinen Träumen auf. In einem war sie dreimal so groß wie unser Haus in der Ardmore Road. Ihr Kopf ruhte auf dem Kamin, die Pfoten baumelten über denFenstern und sie miaute. Das Miauen klang wie das Brüllen des Metro-Goldwyn-Mayer-Löwen. Vielleicht wollte sie mir damit sagen, dass es ihr gut ging und dass sie ihren Pflichten als Wächterin unseres Hauses nachkam. Da ich nicht mehr schlafen konnte, zog ich zwei Paar Socken übereinander an und stolperte die Treppe hinunter. Das schwarze Telefon, das die Hausbewohner sich teilten, war glücklicherweise frei. Ich lauschte auf das Klingeln am anderen Ende der Leitung und wollte schon auflegen, als endlich jemand abhob.
»Andrea?«, rief ich.
»Wie viel Uhr ist es denn?«, murmelte sie mit verschlafener Stimme.
»Ach, das tut mir leid, ich habe Sie geweckt.«
»Macht nichts.« Mist, ich hatte sie tatsächlich geweckt. »Ich habe länger geschlafen. Es ist Samstag. Wo sind Sie?«
»Immer noch in England. Ich wollte nur wissen, wie Cleo, äh, wie Sie zurechtkommen. Gibt es irgendwelche Probleme mit der Katze, äh, dem Haus?«
»Die Nacht war übel«, erwiderte sie. »Cleo ist durch das Dachfenster auf mein Bett gesprungen, als ich schon schlief. Ich habe einen Todesschreck bekommen. Ich dachte zuerst, es wäre ein Einbrecher.«
Das war der erste einer ganzen Reihe von Anrufen von einem Ende der Welt zum anderen, die sich einzig und allein um unsere exzentrische schwarze Katze drehten. Andrea machte bald Bekanntschaft mit den drei großen Leidenschaften von Cleo: teure Sachen, Sachen, die mit Liebe hergestellt worden waren, und gestohlene Sachen.
»Als ich heute Morgen das Haus verlassen wollte, bemerkte ich, dass meine Handtasche, die echte Gucci, nicht das billige Plagiat, das ich in Bangkok gekauft habe … Naja, jedenfalls kam die Tasche mir ziemlich schwer vor«, sagte sie. »Zum Glück schaute ich rein. Wer lag drin? Cleo! Sie sah mich erwartungsvoll an, so als sei sie sicher, dass ich sie mit in die Arbeit nehmen würde. Sie liebt diese Tasche. Was ich nur nicht verstehe, woran erkennt sie den Unterschied zwischen dem Plagiat und dem Original?«
Cleo hatte schon immer ein Näschen für erstklassige Qualität. Wenn sie etwas brauchte, um ihre Zähne zu schärfen, dann nahm sie dazu lieber Kaschmir als Schafwolle, lieber ägyptische Baumwolle als Polyester, lieber Leder als Plastik, selbst hochklassiges, teures Plastik.
Beim nächsten Anruf ging es um die gestickte Tischdecke, die Andreas Mutter ihr zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Eines Abends hatte Andrea, als sie von der Arbeit nach Hause kam, entdecken müssen, dass Cleo die Tischdecke vom Tisch gezogen und sich darin eingewickelt hatte, um ein Nickerchen zu halten.
»Sie hat einen sechsten Sinn«, erklärte ich ihr zerknirscht. »Sie weiß sofort, ob etwas mit Liebe gemacht wurde.«
Einige Wochen darauf klagte Andrea, dass die Schnürsenkel ihrer Joggingschuhe verschwunden waren, und zwar die von beiden Schuhen.
»Gehen Sie in den Garten und sehen Sie im Farn hinter dem Goldfischteich nach«, sagte ich.
Andrea befolgte meinen Rat und fand nicht nur ihre Schnürsenkel (aufgeweicht und ausgefranst), sondern auch mehrere Socken, von denen sie gedacht hatte, dass ein Fußfetischist aus der Nachbarschaft sie von der Wäscheleine geklaut hatte.
»Es tut mir leid«, versicherte ich ihr zerknirscht über die Weltmeere hinweg. »Dass sie sich so aufführen würde, hätte ich nicht gedacht.«
Andrea war erstaunlich nachsichtig. Sie fand Cleo sogar so interessant, dass sie einen Abendkurs über Tierverhalten besuchte.
»Cleo leidet unter klassischer Trennungsangst«, sagte sie. »Sie muss sich beschäftigen, um
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