Cleo
einsame Gestalt auf einem Stuhl vor einem Fenster sitzen.
Draußen ging ich über die Straße, wo ich eine kleine Kirche entdeckte. Sie war im Kolonialstil aus Holz gebaut und erinnerte mich an die Kirche, in der ich mich als Kind so sehr abgemüht hatte, Gottes Gebote zu lernen. Wieder versuchte ich zu beten, aber mein Gespräch mit Gott fiel wie immer recht einseitig aus.
Im Park unter den weit ausgebreiteten Armen der Bäume fand ich mehr Trost. Hier, zwischen all den Blumen und Blättern, in denen das Leben pulsierte, fiel es mir leichter, mir Gott vorzustellen. Tod und Verwesung waren hier auf eine Weise mit Schönheit verwoben, die natürlich und beruhigend wirkte.
Gierig sog ich die frische Luft ein und dankte den viktorianischen Vorfahren, die zu dem Schluss gekommen waren, dass ein Krankenhaus einen Park in seiner Nachbarschaft brauchte. Wiesen und Bäume nahmen die Sorgen der Menschen in sich auf und halfen ihnen, sie im richtigen Licht zu sehen.
Sechs endlos lange Stunden später kramte ich in meiner Handtasche. Meine Hand zitterte und schwitzte so stark, dass ich kaum das Handy an mein Ohr halten konnte. Die Stimme des Chirurgen klang müde, nüchtern, aber auch ein wenig euphorisch.
»Die Operation ist gut gelaufen«, sagte er.
Cleo und ich pflegten Rob nach seiner ersten Operation und auch nach der nächsten zwei Monate später. Als er schon wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, legte er sich Cleo oft auf den Bauch und ließ ihr kehliges Schnurren durch seine Wunden vibrieren. Es ist längst bewiesen, dass Haustiere auf Menschen lebensverlängernd wirken, die Heilkraft des Schnurrens von Katzen ist dagegen noch ein Forschungsdesiderat. Es ist ein ursprünglicher Klang wie das Geräusch von Wellen, die ans Ufer branden. Die reinste Medizin.
Man weiß, dass Katzen nicht nur schnurren, um ihr Wohlbehagen auszudrücken, sondern auch wenn sie starke Schmerzen haben. Es heißt, die beruhigende Wirkung des Katzenwiegenlieds komme daher, dass es sie an die Zeit erinnert, als sie sich als Junge an das Fell der Mutter schmiegten. Ich wäre nicht weiter überrascht, wenn sich eines Tages zeigen würde, dass das Schnurren ein noch viel größeres Potenzial hat und zum Beispiel krankes Gewebe durch die Vibration geheilt wird.
»Hör es dir mal genau an«, sagte Rob eines Tages. »Es ist eine Mischung aus Gurgeln und Brummen – ein Brurgeln.«
»Erinnerst du dich, dass du als Kind immer erzählt hast, Cleo würde mit dir reden?«, fragte ich. »Hat sie das eigentlich wirklich gemacht?«
»Damals glaubte ich das.«
»Spricht sie immer noch mit dir?«, fragte ich, wobei ich mir zu diesem Zeitpunkt natürlich keine Sorgen mehr um seinen Geisteszustand machte. Mir war schon vor Jahren klargeworden, dass Rob eine besondere Beziehung zu Cleo hatte, die nur Gutes brachte.
»Manchmal in Träumen.«
»Was sagt sie?«
»Inzwischen spricht sie nicht mehr in dem Sinne mit mir, sondern zeigt mir irgendwelche Sachen. Manchmal kehren wir zurück in die Zeit, als Sam noch gelebt hat. Wir laufen gemeinsam den Ziegenpfad rauf und runter. Ich glaube, sie will mir damit sagen, dass alles in Ordnung kommt.«
Cleo streckte ihre Vorderbeine, machte einen Buckel und riss ihr Maul zu einem höllenschlundartigen Gähnen auf. Ihr Auftritt in Robs Träumen war nichts weiter als ein netter Zeitvertreib, was sie betraf.
Wie gerne hätte ich mit Rob getauscht, um ihn von seinem Leid zu befreien. Aber wenn ich das sagte, zuckte er nur mit den Achseln. Die Krankheit sei auch ein Geschenk, erklärte er. Ich erschauerte, wenn er so etwas sagte. Dann klang er wie ein alter Mann. Wobei ihm seine Erfahrungen natürlich eine Reife über seine Jahre hinaus verliehen.
»Ich habe gute und ich habe schlechte Zeiten gehabt«, erklärte er. »Eins kann ich dir sagen, die guten sind besser. Wenn man hartes, altes Brot gegessen hat, dann weiß man das weiche, das frisch aus dem Ofen kommt, erst richtig zu schätzen.«
Robs Körper gewöhnte sich langsam wieder an die Aufnahme fester Nahrung, auch wenn er immer noch wie der Überlebende eines Kriegsgefangenenlagers aussah. Ich stellte mir die bange Frage, ob er, wenn sein Körper aus irgendeinem Grund nicht richtig heilen und es zu Komplikationen kommen würde, überhaupt noch genug Kraft aufbringen konnte, um zu kämpfen. Glücklicherweise war er jung und schien Energiereserven aus der Zeit zu haben, als er viel Sport gemacht hatte.
Cleo, die eine gewissenhaftere Pflegerin war als
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