Cleo
faltete die Gebrauchsanweisung wieder zusammen und legte sie sorgsam in die Schachtel zurück.
»Das ist das schönste Geschenk, das ich jemals bekommen habe«, seufzte er und nahm die Superman-Uhr von seinem Nachtkästchen. »Aber ich kann keine zwei Uhren auf einmal tragen.«
Er rieb mit dem Daumen über das Glas der Superman-Uhr.Etwas kratzte mich plötzlich im Hals. Wie hatten wir nur so unsensibel sein können?
»Ich mag die Superman-Uhr wirklich gern …« Natürlich. Es war viel zu früh für ihn, den Trost und die Verbindung zu Sam, die sie ihm bot, aufzugeben.
»Keine Sorge, Rob«, sagte ich. »Wir bringen die Casio zurück in den Laden und tauschen sie gegen etwas anderes um.«
»Nein! So habe ich das nicht gemeint«, sagte er und schüttelte ernst den Kopf. »Also … glaubst du, Sam würde es etwas ausmachen, wenn ich seine Uhr in meine Schublade gebe?«
Der harte Klumpen in meiner Kehle löste sich augenblicklich auf und ich zog Rob an mich und streichelte ihm über die Haare.
»Das würde Sam sicher überhaupt nichts ausmachen«, sagte ich und schluckte Tränen des Stolzes hinunter. »Im Gegenteil, wahrscheinlich würde er sagen, dass du jetzt alt genug für eine Uhr für große Jungs bist.«
Am Abend diesen Tages strömten kleine Jungen in Schlafanzügen den Ziegenpfad herunter und blendeten mit dem Strahlen auf ihren Gesichtern die Beutelratte, die gerade dabei war, den Baum neben dem Tor zu zerlegen. Rob empfing sie im Haus, er hatte sich fein gemacht mit seinem knallroten Bademantel und der brandneuen Digitaluhr.
Das Haus füllte sich mit lärmenden, wild herumturnenden Jungen. Die Wände zitterten. Der Gummibaum schwankte. Kartoffelchips wurden in den Teppich getreten. Würstchen flogen durch die Küche. Früher hätte ich bei so einer Gelegenheit einen Nervenzusammenbruch bekommen. Jetzt nicht mehr. Laken zusammenknoten und aus dem Fenster hängen? Warum nicht! Kricket im Flur? Wasbedeuten schon ein, zwei zerbrochene Wandlampen? Ich schlüpfte dem Partymotto gemäß in meinen blauen Bademantel und bereitete mich innerlich auf einen langen Abend mit einem Haufen durchgedrehter Jungen vor.
Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie viele Freunde Rob in den zweieinhalb Jahren seit Sams Tod gewonnen hatte. Und es waren keine Freunde, die sich seiner aus Pflichtbewusstsein oder Mitleid angenommen hatten. Sie mochten Rob wirklich und sie stritten und lachten miteinander. Seit 1983 war viel in seinem Leben passiert. Der schüchterne jüngere Bruder hatte sich zu einem extrovertierten und beliebten Jungen entwickelt. Ich weinte fast vor Dankbarkeit und Achtung für ihn.
Katzen, Babys und Partys vertragen sich eigentlich nicht besonders. Ich hatte vorgehabt, Lydia und Cleo in ein Zimmer am anderen Ende des Hauses zu bringen, wo es ruhiger war. Aber sie fanden die vielen Besucher interessant und kein bisschen verstörend. Ich überließ die beiden der Runde. Cleo adoptierte sogleich Simon, einen rothaarigen Katzenliebhaber, und verbrachte den Großteil des Abends auf seinem Schoß, von wo aus sie gelegentlich eine Scheibe Schinken klaute. Lydia trug einen ihrer blauen Strampelanzüge (die ich gekauft hatte, als sie noch ein Junge werden sollte) und begrüßte unsere Gäste mit dem huldvollen Lächeln von Queen Mum beim Bad in der Menge.
Die Jungen spielten Reise nach Jerusalem, oder vielleicht sollte man besser sagen, Aufstand in Jerusalem. Regen prasselte gegen die Fenster. Ein Trommelwirbel ging auf unser Dach nieder. Gerade als ein Blitz den Himmel erhellte, pochte es an unsere Haustür.
Vor der Tür stand ein alter Zauberer, der eine falsche Nase und eine Brille trug und in der Hand einen großen Kofferhielt. Er schenkte dem Sturm keinerlei Beachtung, als wäre der nichts als ein Theatereffekt, mit dem er jeden seiner Auftritte begann. Der Mann musste an die achtzig sein. Nachdem er sich für die Verspätung entschuldigt hatte, schlüpfte er aus seinem Regenmantel und drückte sich einen Fez auf seine Glatze. Ich machte mir Sorgen um ihn. Es gibt kein kritischeres Publikum als eine Ansammlung ausgelassener Jungen. Die Jungen feixten, als er mutig ins Wohnzimmer trat. Ich gab ihm dreißig Sekunden.
Seine groben Hände mit den Wurstfingern hätten besser zu einem Maurer gepasst, erwiesen sich allerdings als erstaunlich geschickt. Der Zauberer ließ Seile in Plastiktüten verschwinden, wo er sie dazu brachte, länger zu werden, während tintenfleckige Schals sich in der Abgeschiedenheit einer
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