Cleopatra
Spekulation. Vielleicht spielt bei mir die altmodische Vorstellung eine Rolle, ein Mann habe Probleme damit, die Mutter seiner Tochter umzubringen.«
Sie seufzte spöttisch. »Du bist doch wirklich lange genug bei der Polizei gewesen.«
»Stimmt. Ich meine, Cleveringa hätte Schwierigkeiten. Mein Polizistenverstand sagt mir aber vor allem, dass Scholte dieses Risiko nicht eingeht. Scholte erwürgt sie, versteckt sie unter einem Stück Segeltuchplane, geht zum Fest zurück und meldet seinem Freund, dass im Zelt ein kleines Problem liegt.«
»Dann würde Cleveringa nicht hinausgehen.«
»Nein, natürlich nicht, braucht er auch gar nicht. Sie stecken nur für einen Moment die Köpfe zusammen. Sie können ja schlecht anfangen, im Matsch zu graben, solange das Fest noch in vollem Gange ist. Der Rest wird nachts erledigt. Cleos Auto fällt auf, deshalb fährt Scholte es weg, als alle anderen auch fahren, und stellt es irgendwo ab. Am nächsten Tag bringt es jemand zurück zur Mietwagenfirma, kein Problem. Niemand stolpert über Cleo. Nachts machen sie sich ans Werk. Alles schläft. Übernachtete Scholte auf Buchenstein?«
»Aber wir haben keine Beweise«, sagte Nel.
»Wir haben Rinus, der Frau Boerman hat ankommen sehen, und wir haben die Röntgenaufnahme. Oder meinst du, wir sollten Glinka fragen, ob ihr Fleischermesser und Hackebeil aus der Küche fehlten?«
Nel machte plötzlich ein trauriges Gesicht. »Ich weiß nicht, warum diese Mistkerle das unbedingt tun mussten«, sagte sie niedergeschlagen.
»Sie hätte theoretisch noch gefunden werden können, bevor der Beton sie sicher bedeckte. Die ganzen Niederlande wussten von dem Serienmörder. Zwei Wochen vor dem Fest war wieder eines seiner Opfer gefunden worden, in einer Baugrube bei Nijmegen. Alle schlafen und sie brauchen das Grundstück nicht zu verlassen.«
»Und sie hinterlassen keine Spuren.«
»Wie würdest du es denn machen?«
Nel schnaubte. »Ich versetze mich nicht so gern in diese Situation hinein.«
»Natürlich haben sie alles genau durchdacht. Zuerst graben sie das Loch. Sie bringen die Leiche hin und führen alles dort aus, in dem Loch. Keine Spuren. Sie haben einen Plastiksack dabei, in den sie alles hineinstecken, ihren Kopf, ihre Hände, die Kleidung und ihre Tasche mit den Papieren. Dann schaufeln sie das Loch wieder zu.« Mir fiel etwas ein. »Scholte hat Medizin studiert, er kennt sich in Anatomie aus. Sie haben es nicht mit einem stumpfen Beil oder mit einer Kettensäge getan.«
»Das macht die Sache doch gleich viel menschlicher.« Nel biss sich angeekelt auf die Lippen und wandte sich ab.
»Es regnet, selbst Fußspuren fallen am nächsten Tag nicht mehr auf. Der Beton wird darüber gegossen. Der Plastiksack liegt in Scholtes Kofferraum, zur späteren Verbrennung in seinem Heizkessel.«
»Es ist Juni«, bemerkte Nel mit kriminalistischer Genauigkeit.
»Keine Haarspaltereien. Es gibt hundert Arten, diesen Sack loszuwerden, und es ist hundert Mal einfacher, als eine komplette Leiche verschwinden zu lassen. Scholte ist Segler. Vielleicht liegt der Sack mit Steinen beschwert auf dem Grund eines der tiefsten friesischen Seen.«
»Und Helene liegt im Bett und fragt sich nicht, wo ihr Ehemann bleibt?«
»Ich weiß nicht, was Helene denkt. Sie ist müde vom Fest und schläft. Oder sie denkt: Mein Mann kann vor Aufregung nicht schlafen, weil er Minister geworden ist. Er trinkt wohl noch ein Gläschen mit seinem besten Freund.«
Das Klingeln des Telefons schreckte mich aus meinen Überlegungen auf.
Lonneke war am Apparat. »Haben Sie die Videokassetten erhalten?«
»Ja, vielen Dank. Ich wollte sie mir gerade anschauen.«
»Und?«
»Wie ich schon sagte, ich werde sie mir anschauen. Mehr habe ich im Augenblick nicht zu melden.«
»Und was ist mit der Schweiz?«, fragte sie ungeduldig. »Hat die Reise keine neuen Ergebnisse gebracht?«
»Ich arbeite dran. Lonneke, ich habe jetzt wirklich keine Zeit, ich rufe Sie an, sobald ich etwas Konkretes zu berichten habe.« Ich legte auf. Ich konnte ihr nicht erklären, warum ich sie auf diese Weise abfertigte.
Nel schaute mich verwundert an. »Warum hast du ihr nichts erzählt?«
»Ich habe es auf der Brücke in Muiden versprochen«, sagte ich.
13
Das Autotelefon blinkte, als ich die Europalaan entlangfuhr.
»Scheiße«, sagte Nel in mein Ohr. »Ich glaube, ich weiß, zu wem du unterwegs bist. Halt mal bitte kurz an.«
»Warum?«
»Weil wir etwas vergessen haben.«
Natürlich
Weitere Kostenlose Bücher