Cleopatra
legte tröstend die Hand auf die Schulter von Metz. Der große junge Mann mit dem Lieferwagen kam mit viel Gepolter die Holztreppe herunter und stapfte empört zum Empfang.
»Was ist mit meinem Vater los?«, fragte er angriffslustig. »Wer sind Sie?«
Metz hob seine bebende Hand. »Ist schon gut, Hans.« Er hielt das Foto mit der anderen Hand an die Brust gedrückt, als wolle er nicht, dass der junge Mann es sähe. »Bitte bring unsere Gäste nach oben, auf zweihundertzwölf …« Er schaute Marga mit hilflos-entschuldigender Miene an und sagte, während er mit dem Kopf die Richtung andeutete: »Bitte kommen Sie mit.«
Wir folgten ihm durch den kühlen Gang, während der junge Mann hinter uns sich für die Umstände entschuldigte.
Metz öffnete eine Tür mit der Aufschrift PRIVAT und wir betraten ein geräumiges Wohnzimmer mit Aussicht auf die Bucht.
Metz blieb mitten im Raum stehen und holte tief Luft. Er schaute wieder das Foto an. »Es tut mir Leid«, sagte er.
»Aber das macht doch nichts«, sagte Marga beruhigend.
»Man denkt … Bitte setzen Sie sich doch.«
»Soll ich Ihnen einen Tee kochen oder etwas …«
Metz lehnte ihr Angebot mit einer Geste dankend ab. »Ist schon wieder in Ordnung. Ich habe mich nur erschrocken. Es ist schon so lange her und ich dachte, ich sei darüber hinweg.« Er betrachtete das Foto und wieder füllten sich seine Augen mit Tränen. »Ich habe sie so sehr geliebt.«
»Clara«, sagte ich.
Metz ließ sich steif auf ein Sofa fallen. Er zog ein Taschentuch heraus und begann, sich die Augen abzutupfen.
Marga setzte sich mitfühlend neben ihn. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Tee möchten, oder ein Glas Wasser …«
»Lieber einen Brandy.« Er putzte sich die Nase und wies mit dem Kinn auf ein Büfett. Ich fand eine Flasche Malteser Cognac und schenkte in drei Gläser jeweils einen großen Schluck ein. Ich brachte ihm sein Glas und er trank. Dann kehrte ich zurück, um Marga und mich zu bedienen. Metz saß da und schaute still vor sich hin.
»Was ist mit ihr geschehen?«, fragte ich.
Er schaute mich plötzlich voller Misstrauen an. »Was wollen Sie hier?«
Ich gab ihm meinen Ausweis. Er runzelte die Stirn, weil er auf Niederländisch ausgestellt war. »Ich bin ehemaliger Polizist«, erklärte ich. »Ich befinde mich auf der Suche nach Clara Mending, weil sie auf Umwegen in einen Fall verwickelt ist, an dem ich arbeite. Sie war befreundet mit einer Dame, die nach einem Flugzeugunglück im Jahr 1980 als vermisst gemeldet wurde.«
Er hielt das Foto in der einen Hand und das Glas in der anderen, während er stur vor sich hin starrte. »Ich bin gerne dazu bereit, mich mit Ihnen zu unterhalten, aber ich glaube nicht, dass es Ihnen viel nützen wird. Clara war … meine Frau.«
»Im Dorf tun die Leute so, als hätten sie sie noch nie gesehen«, sagte Marga.
Metz nickte. »Aberglaube. Wie sind Sie hierher gekommen?«
Ich gab ihm die alte Ansichtskarte. »Die habe ich von Claras Jugendfreundin bekommen. Ihr Name ist Irene. Es war eine ganz schöne Sucherei, bis wir auf Xlendi kamen. Dann habe ich Ihren Lieferwagen mit dem Namen Irene darauf gesehen.«
»Der Name war Claras Idee.«
»Was meinen Sie mit Aberglauben?«, fragte Marga.
Er machte eine abwehrende Geste. »Ein böser Meeresgott. Es bringt Unglück, wenn man über seine Opfer spricht. Man darf noch nicht einmal eine Messe für sie lesen lassen, deshalb machen sie es anonym. Jeder weiß, um wen es geht, aber nie wird ein Name genannt.« Er legte das Foto und die Karte auf den niedrigen Tisch vor sich und trank in einem Zug sein Glas leer. »Wenn man hier leben will, muss man das einfach akzeptieren.«
Ich fragte vorsichtig: »Ist Ihre Frau ertrunken?«
»Es gibt eine gefährliche Strömung außerhalb der Bucht und manchmal entstehen dadurch Strudel, die einen in die Tiefe ziehen können. Daher stammt auch dieser Aberglaube. Clara war eine gute Schwimmerin, aber …«
»Wann ist es geschehen?«
»1991«, antwortete er. »Am 13. Juli.«
Deshalb bekam Irene keine Karten mehr. »Sind Sie dabei gewesen?«
»Nein, sonst …« Er ließ seinen Satz unvollendet. Sonst hätte er sie vielleicht retten können oder er wäre bei dem Versuch selbst ertrunken. Er lehnte sich auf dem Sofa zurück und schloss einen Moment die Augen. »Sie ging oft allein schwimmen, nachmittags, wenn Hans in der Schule war. Sie kannte die Bucht, sie wusste von der Strömung …« Er schüttelte den Kopf.
»Hat es niemand gesehen?«
»Doch,
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