Cleopatra
dann eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer gemacht.«
»Wo hatte sich Cleo das Bein gebrochen?«
»Irene meinte, in der Schweiz. Natürlich in einem dieser schicken Wintersportorte.«
Er schaute mich besorgt an, als sei er unsicher, ob es richtig gewesen war, dass er mich wegen einer solchen Kleinigkeit durch das abendliche Verkehrschaos hatte hierher kommen lassen.
»Hat sie das auch dem Polizisten erzählt?«
Er nickte. »Deswegen wollte sie es auch Ihnen erzählen. Ich hoffe, es nützt Ihnen etwas?«
Ich lächelte den feuchten Schimmer hinter den Brillengläsern an. Ich konnte ihm unmöglich meine Vermutungen mitteilen. »Ich bin froh, dass Sie es mir erzählt haben. Eine der netten Erinnerungen, die ich an Irene habe, war dieses besondere Bier, das sie auf der Café-Terrasse für mich bestellt hat. Falls Sie es im Haus haben, würde ich jetzt gerne ein Glas davon trinken.«
Leo stand sofort auf. »Ich weiß, welches Sie meinen. Ich trinke auch eines mit.« Er blieb stehen, als fiele ihm etwas ein, und lächelte bitter. »Irene wäre bitterböse auf mich, wenn sie wüsste, dass ich Sie hier eine halbe Stunde so habe sitzen lassen, ohne …«
Er unterbrach sich mit einer unbeholfenen Geste und eilte aus dem Zimmer.
Es war bereits nach Mitternacht, als ich in meine Wohnung zurückkehrte, und ich gönnte mir den Luxus, bis zehn Uhr am nächsten Morgen auszuschlafen. Draußen hatte der Sommer inzwischen einem bewölkten, trüben Wetter Platz gemacht.
Nieselregeln rieselte auf die Gärten und ich ging hinaus auf den Balkon, um die durchnässten Kissen von den Stühlen zu nehmen und aufrecht an die hintere Wand zu lehnen, damit sie sich nicht in meinem hübschen Wohnzimmer austropfen mussten. Die Amseln hatten sich zurückgezogen.
Es war nichts Wichtiges in der Post außer der deprimierenden Nachricht, dass die prompte Überweisung der Firma Meulendijk mich kaum aus den roten Zahlen herausgebracht hatte, dank der Eskapade nach Malta. Mein Leben ist gespickt mit regelmäßig wiederkehrenden Ermahnungen vernünftiger Freunde, mir endlich einmal eine ›Reserve‹ anzulegen. Das Problem ist allerdings, dass sich fortwährend Dinge ergeben, die ich aufregender finde als eine vernünftige Geldanlage. Immer wieder, wenn ich deswegen ernsthafte Probleme bekomme, wird mir natürlich klar, dass meine Freunde Recht haben. Aber das ändert dann auch nichts mehr.
Ich notierte die Zahl 1980 und schaute sie an.
Im Juli dieses Jahres nahm Cleopatra nach einem heftigen Streit mit ihrem Ehemann ein Taxi nach Schiphol, um mit einer Freundin oder einem Liebhaber in Urlaub zu fliegen. Sie checkte ein für den Katastrophenflug nach Teneriffa. Ihr Gepäck ging an Bord. Ihr Name stand auf der Passagierliste. Jeder andere Name auf der Liste hätte ihre Freundin oder ihr Freund sein können.
Wenn man ein Jahr lang Zeit hätte, würde man das vielleicht herausbekommen.
Eine andere Theorie war, dass sie es sich plötzlich anders überlegte, kurz bevor sie durch die Sicherheitsschleuse ging, und dass sie – ob mit oder ohne Freund oder Freundin – ein anderes Flugzeug mit unbestimmtem Reiseziel nahm. Das war durchaus kein undurchführbares Unterfangen. Die offizielle Passagierliste war die der Fluggesellschaft und sie beruhte auf den Angaben, die der Eincheckschalter gemeldet hatte. Um zu verhindern, dass die Stewardess in der Schleuse zum Flugzeug ihr Fehlen dem Eincheckschalter durchgeben würde, hatte Cleopatra sich im letzten Moment mit einer Ausrede bei ihr abgemeldet. Die Stewardess war zusammen mit all den anderen verunglückt und konnte niemandem mehr etwas davon erzählen.
Doch warum änderte sie ihre Reisepläne? Hatte sie es bereits von vornherein so geplant? Oder wartete ihr Liebhaber auf sie mit einer besseren Idee und Tickets nach Kuwait oder Rom, wie Lonneke zu glauben schien, weil sie zwei Jahre später eine rätselhafte Ansichtskarte aus Pisa erhielt?
Aber bis jetzt erschien mir das Jahr 1980 hauptsächlich als das Jahr von Clara.
Cleveringa fing mit der acht Jahre jüngeren attraktiven Freundin seiner Frau ein Verhältnis an. Cleopatra schöpfte Verdacht und schaltete einen Privatdetektiv ein. Vielleicht fand der Mann es nicht heraus, da die Bombe nie platzte und das Verhältnis weiterlief bis Mitte 1980. Trotzdem war es Ende 1979 aus mit der Freundschaft zwischen Cleopatra und Clara.
Die Kernfrage war: Wozu dieses ganze Theater? Wir schrieben das Jahr 1980. Sie hätten sich einfach scheiden lassen oder sich
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