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Cleopatra

Cleopatra

Titel: Cleopatra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Schock des Abrupten und Definitiven hart treffen.
    Es macht einen Unterschied, wie man stirbt. Plötzlicher Tod oder langsamer Abschied. Am schlimmsten ist die absolute Ungerechtigkeit, wenn ein betrunkener Autofahrer oder eine verirrte Kugel ihr Opfer trifft.
    Man kann diese Unterschiede zwar erkennen, aber man kann sich nie wirklich in eine Trauer wie die Leo Lamperts hineinversetzen. Dafür gibt es keine Ausbildung. Man kann sich einen schönen Satz ausdenken wie: »Man weiß erst, wie sehr man jemanden liebt, wenn er nicht mehr da ist.« Aber das ist nur ein Satz. Menschen wie Johann Metz und Leo Lampert schreiben aber das ganze Buch.
    Leo schaute durch das Fenster seiner Tochter nach, die das Gartentor schloss und in ein kleines Auto stieg. »Sie wohnt mit ihrem Freund zusammen. Gleich hinter der Kathedrale.«
    Er drehte sich um. »Das ist heute eben so.«
    Ich setzte mich.
    »Möchten Sie vielleicht ein Bier oder etwas zu essen?«
    »Ich heiße Max.«
    »Gut. Ich bin Leo.« Er schob mit einer Hand seine Brille ein wenig von der Nase und rieb sich mit Daumen und Mittelfinger die Augenwinkel. Mir fiel ein, dass Flamen sich nicht so schnell duzen wie die Niederländer, vor allem, wenn sie nur wenige Kilometer von der Grenze zu Frankreich entfernt leben, wo es ebenfalls nicht üblich ist. Bei Irene war mir das auch schon aufgefallen.
    »Leo, jetzt setzen Sie sich doch erst mal. Das mit dem Essen und Trinken hat doch noch einen Augenblick Zeit.«
    Er blickte sich um, als sei ihm sein Haus fremd geworden und als habe er Mühe, sich einen Platz auszusuchen. Schließlich setzte er sich in den Sessel mir gegenüber, ohne die Rückenlehne zu berühren.
    »Das mit Irene tut mir sehr Leid«, sagte ich. »Wie ist das denn überhaupt passiert?«
    »Sie ist in den Ijzerkanal gefahren. An der Nordseite, bei den Kais, in der Nähe des Industriegebiets … Sie konnte sich nicht befreien. Sie ist ertrunken.« Leo schwieg. Er blieb kerzengerade sitzen, die Augen reglos hinter den Brillengläsern.
    »Es ist bestimmt schwer, darüber zu reden«, meinte ich.
    »Ich habe es schon hundert Mal erzählt und andere Leute haben es hundert Mal erklärt, während ich daneben stand. Ich will es nicht erzählen und ich will es nicht mehr hören. Aber heute Morgen bin ich wach geworden und dachte plötzlich: Es ist geschehen, es war ein Unfall, es musste so sein, du wirst dich daran gewöhnen müssen. Auch daran, darüber zu sprechen. Deswegen habe ich Sie angerufen.«
    »Wann ist es geschehen?«
    »Mittwoch vor einer Woche, einen Tag, nachdem sie mit Ihnen gesprochen hatte.«
    »Gab es Zeugen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es war Mitternacht; um die Zeit ist dort kein Mensch unterwegs. Vielleicht hatte sie ein paar Bierchen getrunken. Sie war auf einem Geburtstagsfest gewesen und befand sich auf dem Weg nach Hause …«
    »Fuhr sie die normale Strecke?«
    »Ja, sie nahm sie, wenn sie die Innenstadt meiden wollte, wo die Polizei manchmal kontrolliert. Sie fährt durch das Tor und nimmt dann diese Straße. Ich weiß nicht, sie wird müde gewesen sein, natürlich hatte sie etwas getrunken, aber sie hatte nicht übermäßig viel Alkohol im Blut.«
    »Wurde eine Autopsie durchgeführt?«
    Er nickte. »Tod durch Ertrinken.«
    »Ist das Auto untersucht worden?«
    Er wandte mir den Blick zu. »Es ist natürlich Ihr Beruf, solche Fragen zu stellen, aber an dem Auto war alles in Ordnung und es war ein Unfall.«
    Ich hakte nicht weiter nach. Wahrscheinlich konnte er mit einem Unfall eher leben, genau wie Johann Metz. Vielleicht war das eine unbewusste Form der Bequemlichkeit; der Gedanke an einen Mord setzte nicht nur voraus, dass man Feinde hatte, sondern auch, dass man etwas dagegen unternehmen musste, und wenn man nicht genug dagegen unternahm, kamen vielleicht auch noch Schuldgefühle hinzu. Ich konnte ihm seine Haltung kaum verübeln.
    »Warum haben Sie mich dann angerufen?«, fragte ich trotzdem.
    Er zuckte mit den Schultern. »Wegen Irene. Sie hätte es so gewollt. Ihr war noch etwas eingefallen und sie versuchte, sie anzurufen … noch am selben Abend. Es war schon spät, aber Sie waren nicht zu Hause.«
    »Am Abend, nachdem ich mit ihr gesprochen hatte?«
    »Ja.«
    Als ich Meulendijk aus dem Weg gehen wollte und mein Bestes tat, um unerreichbar zu sein. »Worum ging es?«
    »Ich weiß nicht, ob es wichtig war. Aber Irene meinte, das sei es, deshalb wollte sie, dass Sie es auch wissen. Ich denke, dass es ihr erst einfiel, als sie mit dem anderen

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