Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
auf jeden Fall ein eigenes Zimmer, also sollte besser noch eines frei sein. Außerdem benötige ich einen Stallplatz für mein Pferd sowie ein heißes Bad und eine warme Mahlzeit für mich. Lauf los und kümmere dich um Balios, während ich mir mal anhöre, was euer Wirt zu sagen hat.«
Der Wirt war äußerst zuvorkommend und machte im Gegensatz zum Stalljungen keine Bemerkungen über die Runenmale auf Wills Händen und Hals. Stattdessen stellte er die üblichen Fragen: »Möchten Sie Ihr Abendessen in einem Privatsalon einnehmen oder im Schankraum, Sir? Und würden Sie gern vor dem Essen baden oder lieber danach?«
Will, der von Kopf bis Fuß mit Dreck und Schlamm bespritzt war, entschloss sich, erst zu baden. Allerdings willigte er ein, zusammen mit den anderen Gästen im Schankraum zu essen. Er hatte zwar genügend irdisches Geld bei sich, aber ein eigener Raum für eine privat eingenommene Mahlzeit war eine unnötige Ausgabe, insbesondere dann, wenn es einen nicht kümmerte, was man aß. Die Speisen waren nur Wegzehrung für die Reise, mehr aber auch nicht.
Während der Wirt sich kaum dafür interessiert hatte, dass Will ein Nephilim war, gab es andere im Schankraum, die davon durchaus Notiz nahmen. Als Will an der Theke lehnte, steckte eine Gruppe junger Werwölfe, die mit zahlreichen Krügen billigem Bier am Kamin saßen, die Köpfe zusammen. Die Männer warfen Will schräge Blicke zu und tuschelten und murrten leise untereinander. Will bemühte sich, sie einfach zu ignorieren, während er wie jeder andere hochwohlgeborene Gentleman heißes Wasser für sich und einen Kleiebrei für sein Pferd bestellte. Aber ihre scharfen Augen musterten ihn begierig und registrierten jedes Detail: von den triefnassen Haaren und morastigen Stiefeln bis hin zu dem schweren Mantel, der nicht verriet, ob er darunter den üblichen Waffengurt der Nephilim trug.
»Ruhig, Jungs«, sagte der größte Werwolf in der Gruppe. Er saß in der Nähe des Feuers, das Gesicht in den Schatten verborgen. Die Flammen beleuchteten nur seine langen Finger, als er ein elegantes Majolika-Kästchen hervorholte. Nachdenklich drückte er auf das Schloss und nahm eine Zigarre heraus. »Ich kenne diesen Schattenjäger.«
»Du kennst ihn?«, fragte einer der jüngeren Werwölfe ungläubig. »Diesen Nephilim dort drüben? Ist er ein Freund von dir, Scott?«
»Ach, nicht direkt ein Freund.« Woolsey Scott zündete seine Zigarre mit einem Streichholz an und betrachtete den jungen Schattenjäger über die kleine Flamme hinweg. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Aber es ist sehr interessant, dass er jetzt hier ist. Wirklich sehr interessant.«
»Tessa!« Ein rauer Schrei hallte durch die Schlucht.
Ruckartig setzte Tessa sich auf. Sie lag noch immer auf dem Geröll am Ufer und zitterte am ganzen Körper. »Will?« Hastig rappelte sie sich auf und schaute sich um. Der Mond war hinter Wolken verschwunden und der Himmel wirkte wie anthrazitfarbener Marmor, mit schwarzen Adern und Maserungen. Vor ihr strömte der Wildbach, dunkelgrau im schwachen Licht, und um sich herum sah Tessa nur knorrige Bäume und den steilen Abhang, den sie hinuntergestürzt war. In der Ferne bemerkte sie eine weite Landschaft – Felder und Steinmauern, dazwischen hier und dort eine Scheune oder kleinere Schuppen. Aber sie erkannte nichts, was auf eine Stadt oder einen Marktflecken hindeutete, nicht einmal ein paar vereinzelte Lichter, die die Anwesenheit eines kleinen Dorfes vermuten ließen.
»Will«, flüsterte sie erneut und schlang die Arme um ihren Körper. Sie war sich ganz sicher, dass es seine Stimme gewesen war, die ihren Namen gerufen hatte. Niemand sonst klang wie er. Aber das war lächerlich. Will war nicht hier. Konnte nicht hier sein. Vielleicht hatte sie das alles nur geträumt, so wie Jane Eyre, die Rochesters Stimme über das Moor hallen und nach ihr rufen hörte.
Zumindest war es ein Traum, der sie aus ihrer Bewusstlosigkeit gerissen hatte. Der eisige Wind schnitt ihr wie ein Messer durch die Kleidung – sie trug nur ein dünnes Gewand, keinen Mantel und keinen Hut. Ihre Röcke hingen feucht und schwer an ihr herab, ihre Strümpfe waren gerissen und auf ihrem Kleid glänzten Blutflecken. Der Engel hatte ihr offenbar das Leben gerettet, sie aber nicht vor Verletzungen bewahrt.
Vorsichtig tastete Tessa nach dem Anhänger, in der Hoffnung, er würde ihr den rechten Weg weisen, doch der Engel blieb stumm und still wie immer. Als sie ihre Hand sinken
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