Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
selbst habe lange versucht, das Kind zu sein, das meine Eltern sich wünschten – die Dame, die ich ihrer Erwartung nach hätte sein sollen. Und ich bin von zu Hause fortgegangen, um Will zurückzuholen, weil ich dachte, das sei das Richtige für ihn und meine Eltern. Denn ich wusste, wie sehr es sie bekümmerte, dass er einen anderen Weg eingeschlagen hatte. Aber dieser Weg ist genau der richtige für Will, auch wenn er auf Umwegen dorthin gelangt ist. Es ist sein Weg. Sie brauchen nicht den Weg einzuschlagen, den Ihr Vater gewählt hätte oder den Ihr Bruder möglicherweise wählt. Sie können der Schattenjäger sein, der Sie sein möchten.«
Gabriel klang sehr jung, als er entgegnete: »Woher wissen Sie denn, dass ich die richtige Entscheidung treffen werde?«
Aus dem Innenhof drang das Klappern von Hufen zu ihnen herauf. Die Brüder der Stille verließen das Institut. Jem, dachte Cecily mit einem Stich im Herzen. Ihr Bruder hatte ihn immer als eine Art Nordstern betrachtet – als einen Kompass, der unerschütterlich zur richtigen Entscheidung zeigte. Bisher hatte Cecily eigentlich nie gedacht, dass Will im Leben besonders viel Glück gehabt hatte; auch die aktuellen Ereignisse sprachen nicht dafür, und dennoch…Dennoch hatte Will in gewisser Hinsicht großes Glück gehabt. Denn er hatte einen Menschen gehabt, an den er sich immer hatte wenden können und bei dem er sich nicht ständig sorgen musste, vielleicht zu einem falschen Stern aufzublicken.
Cecily räusperte sich und versuchte, ihre Stimme möglichst fest und entschlossen klingen zu lassen – um ihrer beider willen. »Vielleicht, Gabriel Lightwood, habe ich ja großes Vertrauen zu Ihnen.«
14
P ARABATAI
Still, still! Er schlummert nur, er ist nicht tot,
Er ist erwacht vom Schlaf der Erdenzeit:
Wir sind es, die, vom Traumessturm bedroht,
Mit Wahngespensten im ziellosen Streit
Mit unsers Geistes Schwert die Nichtigkeit
Verletzen wollen. Unsern Leib umgeben
Fäulnis und Grab; uns zehren Furcht und Leid
Jedweden Tag; Hoffnungen eitel weben
Gleich Würmern immerfort in unserm Leichenleben.
P ERCY B YSSHE S HELLEY , »A DONAIS .
E INE E LEGIE AUF DEN T OD VON J OHN K EATS «
Der Innenhof des »Green Man Inn« hatte sich zu Morast verwandelt, als Will sein entkräftetes Pferd zum Stehen brachte und von dessen breitem Rücken herunterrutschte. Er war erschöpft, steif und wund geritten. Der schlechte Straßenzustand und die Müdigkeit in seinen und Balios’ Knochen hatten dazu geführt, dass sie während der letzten Stunden nur langsam vorangekommen waren. Inzwischen hatte die Abenddämmerung eingesetzt und Will bemerkte erleichtert, dass ein Stalljunge auf ihn zulief. Seine Stiefel platschten durch den kniehohen Matsch und er trug eine Laterne, die ein warmes gelbliches Licht verbreitete.
»Ziemlich feuchter Abend, was, Sir?«, rief der Junge fröhlich beim Näherkommen. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein herkömmlicher Irdischer, aber Will bemerkte, dass er etwas Schelmisches, Koboldhaftes an sich hatte. Über Generationen vererbtes Feenblut machte sich manchmal bei Menschen, aber auch bei Schattenjägern, durch eine besondere Augenform oder eine leuchtende Pupille bemerkbar. Und natürlich besaß der Junge das Zweite Gesicht. Denn das Green Man Inn war ein in der Schattenwelt weithin bekanntes Wirtshaus. Will hatte gehofft, vor Anbruch der Nacht hier einzutreffen. Er war es satt, sich vor Irdischen verstellen, sich mit Zauberglanz versehen oder sich verstecken zu müssen.
»Feucht? Tatsächlich?«, murmelte Will, während ihm das Wasser aus den Haaren lief und auf die Wimpern tropfte. Er hatte den Blick fest auf die Eingangstür des Wirtshauses geheftet, durch die warmes, einladendes Licht in den Innenhof fiel. Der Himmel über dem Gebäude war fast vollkommen dunkel und massige schwarze Wolken verhießen weiteren Regen.
Geschickt nahm der Junge Balios am Zaumzeug. »Sie ham ja eins von diesen magischen Pferden, Sir«, rief er begeistert.
»Ja«, bestätigte Will und klopfte Balios auf die schaumbedeckte Flanke. »Er muss trocken gerieben, gestriegelt und gut versorgt werden.«
Der Junge nickte. »Dann sin’ Sie ’n Schattenjäger? Von denen kriegen wir hier nich’ viele zu sehen. Vor ’ner Weile war mal einer da, aber der war alt und mürrisch …«
»Hör mal«, unterbrach Will den Jungen, »habt ihr noch ein Zimmer frei?«
»Bin mir nich’ sicher, ob noch eins von den Privatzimmern leer steht, Sir.«
»Nun, ich brauche
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