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Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)

Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)

Titel: Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Clare
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über den Toten schließt,
öffnet den Himmel,
und das, was wir auf Erden für das Ende halten,
ist erst der Anfang.«
    V ICTOR H UGO , »À V ILLEQUIER «
    L ONDON , B LACKFRIARS B RIDGE , 2008
    Der Wind war scharf und blies Staub und Müll – Chipstüten, einzelne Zeitungsblätter, alte Quittungen – über den Gehweg, als Tessa kurz in beide Straßenrichtungen schaute und dann die Blackfriars Bridge überquerte.
    Für jeden unbeteiligten Betrachter sah sie wie ein ganz normales Mädchen von etwa neunzehn oder zwanzig Jahren aus: die Jeans in die Stiefel gesteckt, darüber ein blauer Kaschmirpullover, den sie günstig im Winterschlussverkauf erworben hatte, und dazu lange braune Haare, die sich bei dem feuchten Wetter leicht wellten und ihr weit den Rücken hinabfielen. Besonders modebewusste Betrachter hätten vermutlich angenommen, dass es sich bei dem Liberty-Schal mit Paisleymuster um eine billige Imitation handelte statt um ein einhundert Jahre altes Original und dass das Armband an ihrem Handgelenk aus einem Secondhandladen stammte und nicht ein Geschenk ihres Mannes anlässlich ihres dreißigsten Hochzeitstages war.
    Tessa verlangsamte ihre Schritte, als sie eine der Nischen in der Brückenbrüstung erreichte. Inzwischen hatte man Betonbänke entlang der Innenseiten angebracht, sodass die Touristen sich setzen und das Panorama mit der St.Paul’s Cathedral betrachten oder einfach auf die graugrünen Fluten hinabschauen konnten, welche gegen die Brückenpfeiler klatschten. Die Stadt brummte vor Lärm und Tessa war eingehüllt vom ständigen Geräusch des Straßenverkehrs: lautes Autohupen, das Rumpeln der Doppeldecker, das Klingeln Dutzender Handys, die Stimmen der Passanten, das schwache Dudeln, das aus den weißen Kopfhörern diverser iPods drang.
    Nachdenklich setzte sie sich auf die Bank, nahm die Beine hoch und zog sie unter sich. Die Luft war überraschend sauber und klar: Der Rauch aus den tausenden Schornsteinen und Kaminen, der den Himmel in ihrer Jugend regelmäßig gelb und schwarz gefärbt hatte, war mittlerweile Vergangenheit. Inzwischen leuchtete der Himmel über London in der Farbe von graublauem Marmor. Auch der unansehnliche Anblick, den die Dover and Chatham Railway Bridge einst geboten hatte, war verschwunden – nur noch ihre Pfeiler ragten aus dem Wasser und erinnerten an die einstige Existenz der ehemaligen Eisenbahnbrücke. Gelbe Bojen tanzten nun auf den Fluten und Ausflugsschiffe tuckerten vorbei; der Schall der mikrofonverstärkten Stimmen der Touristenführer hallte bis zu Tessa hinauf. Busse so rot wie Lutschbonbons rauschten über die Brücke und wirbelten das Laub am Straßenrand auf.
    Tessa warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Fünf vor zwölf. Sie war etwas früh dran, aber andererseits kam sie jedes Jahr, zu jedem ihrer jährlichen Treffen, lieber etwas zu früh als zu spät. Dadurch hatte sie Gelegenheit zum Nachdenken und Erinnern. Und dafür gab es nun einmal keinen geeigneteren Ort als hier auf der Blackfriars Bridge – der Ort, an dem sie sich zum ersten Mal richtig unterhalten hatten.
    Neben ihrer Uhr schimmerte das Perlarmband, das sie ständig trug und nicht für eine Sekunde ablegte. Will hatte es ihr zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag geschenkt; lächelnd hatte er es an ihrem Handgelenk befestigt. Damals hatte er bereits graue Strähnen in den Haaren gehabt – das wusste sie wohl; aber sie hatte sie nie wirklich wahrgenommen. So als hätte ihre Liebe ihm die Fähigkeit zur Gestaltwandlung geschenkt: Ganz gleich, wie viele Jahre verstrichen waren, sie hatte immer nur den stürmischen, jungen Mann mit den schwarzen Haaren gesehen, in den sie sich einst verliebt hatte.
    Manchmal erschien es ihr noch immer unglaublich, dass es ihnen gelungen war, gemeinsam alt zu werden: Sie und Will Herondale, von dem Gabriel Lightwood einmal gesagt hatte, er würde gewiss nicht älter als neunzehn werden. All die Jahre waren sie mit den Lightwoods eng befreundet geblieben. Will konnte mit dem Mann, den seine Schwester geheiratet hatte, ja wohl kaum nicht befreundet sein … Cecily und Gabriel hatten Will am Tag seines Todes gemeinsam besucht, genau wie Sophie, wohingegen Gideon bereits einige Jahre zuvor von ihnen gegangen war.
    Tessa erinnerte sich noch ganz genau an jenen Tag: Der Tag, an dem die Brüder der Stille erklärt hatten, es gäbe nichts mehr, was sie zur Verlängerung von Wills Leben noch tun könnten. Damals hatte er das Bett schon nicht mehr verlassen können.

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