Clockwork Princess: Chroniken der Schattenjäger (3) (German Edition)
wenig existent wie ein Geist. »Will«, sagte sie drängend.
Doch er schien sie nicht zu hören. Er bebte am ganzen Körper vor Anspannung und Sorge, auch seine Hände zitterten.
»Gwilym Owain«, setzte Cecily erneut an, dieses Mal jedoch sanfter.
Endlich wandte er ihr den Kopf zu und schaute sie an, aber seine Augen waren so blau und so kühl wie die Fluten des Llyn Mwyngil im Schatten der Berge. »Mit zwölf Jahren bin ich hierhergekommen«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte Cecily verwirrt. Glaubte er wirklich, sie hätte das vergessen? Zuerst Ella zu verlieren und dann Will, ihren heiß geliebten älteren Bruder, und das innerhalb weniger Tage?
Aber offenbar hatte Will sie nicht gehört. »An einem grauen Herbsttag, am zehnten November, um genau zu sein«, fuhr er fort. »Jedes Mal, sobald sich der Tag meiner Ankunft im Institut jährte, legte sich eine düstere, verzweifelte Stimmung über mich. Denn an diesem Tag – und an meinem Geburtstag – musste ich immer an Mam und Dad und dich denken. Ich wusste, dass ihr noch am Leben wart, dass ihr irgendwo da draußen auf ein Zeichen gewartet und euch meine Rückkehr gewünscht habt. Aber ich konnte weder heimkehren noch einen Brief schreiben. Natürlich habe ich Dutzende angefangen … und dann wieder verbrannt. Ihr müsst mich gehasst haben und mir die Schuld an Ellas Tod gegeben haben.«
»Wir haben dir nie die Schuld daran gegeben …«
Doch Will fuhr unbeirrt fort: »Nach dem ersten Jahr stellte ich fest, dass ich das Näherkommen dieses Tages zwar noch immer fürchtete, aber Jem am zehnten November immer irgendetwas Unaufschiebbares zu tun hatte: eine besondere Trainingseinheit oder irgendwelche Nachforschungen, die uns durch nasskaltes Winterwetter ans andere Ende der Stadt führten. Natürlich habe ich ihn jedes Mal dafür verflucht. Manchmal setzte die feuchte Kälte seiner Gesundheit zu. Oder er vergaß, seine Arznei einzunehmen, sodass er genau an diesem Tag furchtbar krank wurde, Blut spuckte und das Bett hüten musste … auch das war eine hervorragende Ablenkung. Erst im vierten Jahr – denn ich bin ziemlich begriffsstutzig, Cecy, und denke immer nur an mich – erkannte ich endlich, dass Jem das alles nur für mich tat. Er hatte sich das Datum gemerkt und tat alles in seiner Macht Stehende, um mich aus meiner Melancholie zu reißen.«
Cecily stand vollkommen reglos da und starrte ihn an. Trotz der Worte, die ihr auf dem Herzen lagen, brachte sie keinen Ton hervor, denn es schien, als hätte sich der Schleier der Jahre gehoben und sie würde endlich wieder ihren Bruder sehen, so wie er in ihrer Kindheit gewesen war: Als er sie unbeholfen getätschelt hatte, um sie über eine Verletzung hinwegzutrösten. Als er mit einem aufgeschlagenen Buch auf der Brust vor dem Kamin eingeschlafen war. Als er lachend aus dem Teich geklettert war und das Wasser aus seinen schwarzen Haaren geschüttelt hatte. Will, ohne jede Mauer zwischen sich und der Welt.
Jetzt schlang er die Arme um sich, als wäre ihm kalt. »Ich weiß nicht, wer ich ohne Jem sein soll«, sagte er. »Tessa ist verschwunden und jeder Moment ohne sie ist wie ein Messer, das mich von innen zerfetzt. Sie ist verschwunden und nicht zu orten. Ich habe keine Ahnung, was ich als Nächstes tun oder wohin ich mich wenden soll. Und der einzige Mensch, dem ich mich in meinem Kummer möglicherweise anvertrauen könnte, ist genau der Mensch, der nichts davon erfahren darf. Selbst wenn er nicht im Sterben läge.«
»Will. Will.« Cecily legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bitte hör mir zu. Es geht dabei um Tessa und darum, sie zu finden. Ich glaube, ich weiß, wo Mortmain steckt.«
Bei diesen Worten riss Will ruckartig die Augen auf. »Woher willst du das denn wissen?«
»Ich stand nahe genug bei dir und Jessamine, um ihre Worte zu hören, bevor sie gestorben ist«, erklärte Cecily und spürte seinen Puls unter ihren Fingern: Sein Herz raste. »Sie hat gesagt, du seist ein schrecklicher Waliser.«
»Jessamine?« Will klang verwundert.
Doch Cecily sah, wie sich seine Augen langsam zu Schlitzen verengten. Vielleicht folgte er ja unbewusst demselben Gedankengang, dem sie bereits nachgegangen war. »Jessamine hat darauf beharrt, dass Mortmain in Idris sei. Aber der Rat weiß, dass das nicht stimmt«, sprudelte Cecily hervor. »Du hast Mortmain nicht gekannt, als er noch in Wales lebte, aber ich schon! Er kennt sich dort ziemlich gut aus. Und dasselbe galt auch mal für dich. Wir sind im Schatten der
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