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Clovis Dardentor

Clovis Dardentor

Titel: Clovis Dardentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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den Befehl zum Stoppen.
    Der Dampfer glitt noch eine Kabellänge weiter, lief dann langsamer und stand endlich still. Da ihn der Seegang aber von seitwärts her traf, begann er, zum großen Leidwesen der männlichen und weiblichen Passagiere, die schon die Vorboten der Seekrankheit spürten, etwas stärker zu rollen.
    Die Schaluppe schoß inzwischen mit solcher Schnelligkeit heran, daß ihr Vordersteven oft ganz über das schäumende Wasser aufragte. Schon konnte man einen auf ihrem Vordertheile stehenden Mann erkennen, der seinen Hut schwenkte.
    In diesem Augenblicke wagte sich Herr Désirandelle noch einmal auf die Eisenleiter der Commandobrücke und fragte den Doctor Bruno, der noch beim Kapitän stand:
    »Worauf warten Sie denn?
    – Dort auf jene Schaluppe, erklärte ihm der Doctor.
    – Und was will sie wohl von uns?
    – Sie wird uns jedenfalls noch einen Passagier bescheeren, wahrscheinlich den, der sich verspätet hatte.
    – Herrn Dardentor?…
    – Ja, Herrn Dardentor, wenn er so heißt.«
    Herr Désirandelle ergriff das Fernrohr, das ihm der Doctor reichte, und nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, die Schaluppe in das gar zu schwankende Gesichtsfeld des Instruments zu bringen.
    »Ja… wahrhaftig… er ist es!« rief er erfreut.
    Dann beeilte er sich, der Mutter des Agathokles die frohe Botschaft zu überbringen.
    Die Schaluppe war nur noch wenige Kabellängen vom »Argeles« entfernt, der von dem Uebelkeit erregenden Seegange geschaukelt wurde, während der überschüssige Dampf mit ohrzerreißendem Prasseln aus den Sicherheitsventilen abblies.
    Die Schaluppe legte eben an der Schiffswand an, als Herr Désirandelle. der nach dem Besuche bei seiner Gattin noch etwas bleicher aussah, auf dem Verdeck erschien.
    Sofort wurde eine Strickleiter mit hölzernen Sprossen über die Reling des Dampfers hinabgelassen und legte sich an dessen Seite an.
    Der Passagier entlohnte noch den Schaluppenführer und mußte dies wahrscheinlich in königlicher Weise gethan haben, denn er wurde mit einem »Schönen Dank, Euer Gnaden!« belohnt, von dem die Lazzaroni allein das Geheimniß zu besitzen scheinen.
    Einige Secunden darauf schwang sich der Nachkömmling, dem sein Diener mit einer großen Reisetasche folgte, über die Schanzkleidung, sprang auf das Verdeck und grüßte lächelnd und sich gewandt verbeugend nach allen Seiten.
    Dann trat er auf Herrn Désirandelle zu, der schon im Begriff war, ihm Vorwürfe zu machen.
    »Na… da wären wir ja, dickes Papachen!« rief er und klatschte dem Männchen freundschaftlich auf den wohlgenährten Leib.
Drittes Capitel.
Worin der liebenswürdige Held der Geschichte anfängt, sich in den Vordergrund zu stellen.
    Herr Dardentor – mit dem Vornamen Clovis – erblickte das Licht der Welt fünfundvierzig Jahre vor Anfang dieser Erzählung am Loge-Platz Nr. 4 im alten Ruscino, das früher die Hauptstadt von Roussillon war und heute der Hauptort der Ostpyrenäen ist, in dem berühmten und hochpatriotischen Perpignan.
    Der Typus Clovis Dardentor’s ist in dieser guten Provinzialstadt nicht grade selten. Stelle man sich in ihm einen Mann von Mittelgröße mit breiten Schultern vor, der einen so kräftigen Körperbau aufwies, daß das Muskelsystem das Nervensystem beherrschte. Letzteres befand sich übrigens im Zustande vollkommner Eusthenie – d. h. für Die, die ihr Griechisch vergessen haben, im vollständigen Gleichgewicht der Kräfte. Außerdem hatte er einen runden Kopf, kurzes graumeliertes Haar, braunen, fächerförmigen Bart, lebhaften Blick, einen großen Mund mit prächtigen Zähnen, sichern Tritt und geschickte Hand, war moralisch und physisch gut abgehärtet, ein guter Junge trotz etwas befehlerischen Wesens, von guter Laune, unversieglicher Redseligkeit, sehr entschlossen und schnell im Handeln, kurz, ein Südländer, soweit ein Individuum es sein kann, dessen Wiege nicht in der Provence selbst stand, in der Provinz, worin der ganze Süden Frankreichs sich concentriert und völlig aufgeht.
    Dieser Dardentor war Junggeselle, und in der That hätte man sich einen Mann wie ihn auch gar nicht als vom Ehejoch gefesselt vorstellen können, ebenso wenig wie es jemand in den Sinn kam, daß ihm je ein Honigmond geschienen hätte. Nicht, daß er sich misogyn gezeigt hätte – er befand sich sogar sehr gern in Gesellschaft von Frauen – doch misogam war er im höchsten Grade. Dieser Ehefeind begriff nicht, daß ein an Leib und Seele gesunder und ernstlich beschäftigter

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