Clovis Dardentor
mit halbgeschlossnen Lippen, die zwei Reihen schöner Zähne sehen ließen, sein blondes, sorgfältig geordnetes Haar, seine gemessne Stimme und sein ganzes vornehmes Aeußre gestatteten, ihn dem Typus zuzuzählen, der nach den Physiologen die »länglich runden Köpfe« umfaßt. Er glich fast einem Mitgliede des englischen Oberhauses. Jetzt seit fünfzehn Jahren in seiner Stellung, hatte er diese schon viele Male aufgeben wollen. Umgekehrt hatte Clovis Dardentor nicht minder häufig Lust gehabt, ihm die Thür zu weisen. In Wahrheit konnten sie einander aber nicht entrathen, obgleich man sich kaum zwei noch verschiednere Naturen vorstellen kann. Was Patrice an das Haus in Perpignan fesselte, das war nicht sein übrigens recht hoher Lohn, sondern die Gewißheit, daß er sich des unbedingten und auch wohlverdienten Vertrauens seines Herrn erfreute. Wie schwer fühlte sich Patrice aber in seiner Eigenliebe verletzt, wenn er die Vertraulichkeit, die Redseligkeit, die südländische Ueberschwenglichkeit seines Herrn mit ansehen mußte! In seinen Augen fehlte es Herrn Dardentor an Anstand. Er verleugnete die Würde, deren Bewahrung seine sociale Stellung ihm auferlegte. In seiner Art des Grüßens, des sich Vorstellens und des Ausdrucks schlug ihn immer wieder der alte Tonnenbinder in den Nacken. Kurz, es fehlten ihm alle guten Manieren, die er sich freilich beim Zusammenzimmern und Bereisen Tausender von Fässern nicht hatte aneignen können. Patrice nahm sich auch gar kein Blatt vor den Mund, das gelegentlich gegen ihn auszusprechen.
Zuweilen war Clovis Dardentor, der – wie der Leser schon weiß – die Manie hatte, »Phrasen zu drechseln«, in der Laune, die Bemerkungen seines Dieners gutmüthig hinzunehmen. Er lachte darüber, spöttelte über den Mentor in Livrée und machte sich’s zum Spaß, diesen noch mehr in die Wolle zu bringen.
Manchmal aber, bei schlechter Laune, wurde er böse, schickte den unglückseligen Berather zum Kuckuck und kündigte ihm für die nächsten acht Tage… acht Tage, die niemals kamen.
Wenn Patrice einerseits nämlich ärgerlich war, im Dienste eines Herrn, der sich wenig gentlemanlike benahm, zu stehen, so war Clovis Dardentor andrerseits stolz auf einen so vornehmen Diener.
Gestern hatte sich Patrice auch weidlich geärgert. Er beklagte sich dem Restaurateur gegenüber, daß Herr Clovis Dardentor bei Tafel seiner Zunge gar so ungezügelten Lauf gelassen und dummes Zeug geschwätzt. in den andern Herren aber eine so klägliche Vorstellung von einem Eingebornen der Ostpyrenäen erweckt habe.
Nein, Patrice war unzufrieden und bemühte sich auch gar nicht, das zu verhehlen. Eben deshalb hatte er auch, ohne gerufen worden zu sein, schon zu früher Morgenstunde an die Thür der Cabine Nr. 13 geklopft.
Das erste Mal erfolgte darauf keine Anwort; jetzt klopfte er stärker.
»Wer da?… grollte eine schlaftrunkne Stimme.
– Patrice…
– Ach was, geh’ zum Teufel!«
Ohne diesem liebenswürdigen Rathe zu folgen, hatte Patrice sich zurückgezogen; ihn durchfröstelte aber jene unparlamentarische Antwort, obwohl er an deren Art gewöhnt sein mußte.
»Mit diesem Menschen ist doch nichts Gescheidtes anzufangen!« brummte er vor sich hin.
Voller Würde und Vornehmheit des »englischen Lords« wie immer, war er nach dem Verdeck hinausgegangen und wartete hier geduldig auf das Erscheinen seines Herrn.
Die Wartezeit zog sich recht lange hin, denn Herr Dardentor spürte gar keinen Drang, sein Lager so schnell zu verlassen. Endlich knarrte die Thür der Cabine, nachher die zum Oberdeck und die Hauptperson dieser Geschichte trat daraus hervor.
Jean Taconnat und Marcel Lornans, die am Vordercastell lehnten, wurden seiner sofort gewahr.
»Achtung!… Unser Vater!« rief Jean Taconnat leise.
Der ebenso ungereimten wie vorzeitigen Bezeichnung gegenüber konnte sich Marcel Lornans des lauten Auflachens nicht enthalten.
Inzwischen ging Patrice gemessnen Schrittes und strengen Gesichts mit mißbilligendem Ausdruck auf Herrn Dardentor zu, um, wenn auch mit Widerwillen, die Befehle seines Herrn entgegenzunehmen.
»Aha, da bist Du ja, Patrice… Du, der mich aus dem besten Schlafe geweckt hat, als ich mich noch in den rosigsten Träumen wiegte….
– Der Herr werden zugestehen, daß meine Pflicht…
– Deine Pflicht war es, zu warten, bis ich nach Dir klingelte.
– Der Herr glaubt wohl in Perpignan zu sein, in seinem Hause am Logeplatze….
– Ich weiß recht gut, wo ich bin, versetzte
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