Clovis Dardentor
einziger Trost bestand darin, daß er sich sagte:
»Na, zum Glück ist unser Agathokles dabei, für drei
Mann zu essen!«
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Der junge Mann tat wirklich sein möglichstes, die Aus-
gaben des Vaters wenigstens einseitig wieder hereinzubrin-
gen.Nach Clovis Dardentors letzter Antwort schweifte das
Gespräch nun nach anderen Gebieten ab. Sollte man denn
die Achillesferse des Bonvivants, des guten Essers und tüch-
tigen Trinkers nicht treffen können? Daß seine Gesundheit
ausgezeichnet, seine Konstitution vortrefflich, sein Orga-
nismus von erster Güte wären, das unterlag keinem Zwei-
fel. Trotz alledem mußte er doch einmal aus dieser Welt
scheiden, wie alle Sterblichen . . . sagen wir, wie fast alle, um
ängstliche Gemüter nicht zu erregen. Und wenn nun diese
Schicksalsstunde schlug, wem würde sein großes Vermögen
zufallen? Wer würde Besitz nehmen von seinen Häusern,
von den Mobilien des alten Küfermeisters von Perpignan,
da ihm die Natur keinen direkten, ja nicht einmal einen
seitlichen Nachkommen, der erbberechtigt gewesen wäre,
geschenkt hatte?
Auf diese Andeutung hin begann Marcel Lornans:
»Warum haben Sie nicht daran gedacht, sich Erben zu
sichern?«
»Ja . . . wie denn?«
»Wie man das gewöhnlich macht, Sapperment!« rief
Jean Taconnat. »Indem Sie der Mann einer jungen, hüb-
schen, gesunden, Ihrer würdigen Frau wurden.«
»Ich? . . . Mich verheiraten?«
»Natürlich!«
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»Wahrlich, auf einen solchen Gedanken bin ich noch nie
verfallen!«
»Das wäre aber Ihre moralische Pflicht gewesen, Herr
Dardentor«, meinte Kapitän Bugarach, »und da es noch
Zeit ist . . .«
»Sind Sie denn verheiratet, lieber Kapitän?«
»Nein.«
»Und Sie, Doktor?«
»Auch nicht.«
»Aber Sie, meine Herren?«
»Keineswegs«, antwortete Marcel Lornans, »doch in un-
serem Alter ist das nicht zu verwundern.«
»Schön, und wenn Sie alle nicht verheiratet sind, warum
wollen Sie denn, daß ich es wäre?«
»Einfach, damit Sie eine Familie hätten«, belehrte ihn
Jean Taconnat.
»Und mit der Familie die davon unzertrennlichen Sor-
gen . . .«
»Damit Sie Kinder . . . später Enkelchen hätten . . .«
»Mit all den Belästigungen, die sie verursachen.«
»Kurz, um Nachkommen zu haben, die einst Ihr Able-
ben betrauern.«
»Oder sich darüber freuen!«
»Glauben Sie denn«, fuhr Marcel Lornans fort, »daß der
Staat sich nicht freuen wird, wenn er Sie einmal beerbt?«
»Der Staat . . . mein Vermögen erben . . . das er als Ver-
schwender doch nur bald durchbrächte?«
»Das ist keine Antwort, Herr Dardentor«, sagte Marcel
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Lornans; »der Mensch hat nun einmal die Bestimmung,
sich eine Familie zu gründen, in seinen Kindern und Kin-
deskindern fortzuleben . . .«
»Zugegeben; die kann der Mensch aber haben, ohne sich
zu verehelichen.«
»Wie verstehen Sie das?« fragte jetzt der Doktor.
»So wie es zu verstehen ist, meine Herren, und ich für
meinen Teil würde die vorziehen, die schon da sind.«
»Adoptivkinder?« warf Jean Taconnat ein.
»Natürlich! Ist das nicht hundertmal besser? Ist das nicht
weit klüger? Da hat man doch die Wahl! Man kann Kinder
nehmen, die an Leib und Seele gesund und über das Alter
hinaus sind, wo sie noch von Keuchhusten, Scharlach und
Masern bedroht werden; kann solche haben, die blond oder
braun, dumm oder gescheit sind. Man kann sich, je nach
dem Geschlecht, das man wünscht, Knaben oder Mädchen
zulegen, kann eines, zwei, drei, vier oder ein Dutzend da-
von bekommen, je nachdem man Sinn für Adoptivvater-
schaft hat. Kurz, man ist völlig frei, sich eine Familie von
Erben unter den besten Bedingungen für körperliches und
geistiges Gedeihen zuzulegen, ohne darauf warten zu müs-
sen, daß der Himmel seine Ehe segnet. Man segnet sich ein-
fach selbst, wann und wie es einem beliebt.
»Bravo, Herr Dardentor, bravo!« rief Jean Taconnat.
»Auf das Wohlergehen Ihrer Adoptivengel!«
Und noch einmal erklangen die Gläser aneinander.
Wieviel die Tischgenossen im Speisesalon der ›Argèlès‹
verloren hätten, wenn ihnen die letzten Phrasen der Tirade
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des mitteilsamen Perpignanesers entgangen wären, kann
man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Er war in seiner
Art prächtig gewesen!
»Ihre Methode, verehrter Herr«, glaubte Kapitän Buga-
rach jedoch hinzufügen zu müssen, »mag an sich ja ganz gut
sein. Wenn aber alle Welt ebenso dächte, wenn es nur
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