Clovis Dardentor
noch
Adoptiveltern gäbe, so vergessen Sie nicht, daß sich dann
bald keine zu adoptierenden Kinder mehr finden würden.«
»O nein, lieber Kapitän, so schlimm ist’s nicht«, entgeg-
nete Clovis Dardentor. »Es wird nie an braven Leuten man-
geln, die sich heiraten . . . Tausende . . . Millionen . . .«
»Und das ist ein wahres Glück«, schloß Doktor Bruno,
»denn sonst würde es mit der Herrlichkeit der Welt bald zu
Ende sein.«
Das Gespräch ging lebhaft noch weiter fort, ohne daß es
weder Herrn Eustache Oriental störte, der jetzt am ande-
ren Ende der Tafel seinen Kaffee schlürfte, noch Agatho-
kles Désirandelle abhielt, vollends die Dessertschüsseln zu
plündern.
Da leitete Marcel Lornans, der sich eines gewissen Titels
VIII vom Zivilgesetzbuch erinnerte, die Frage auf das Ge-
biet des Rechts hinüber.
»Wenn jemand adoptieren will, Herr Dardentor«, sagte
er, »so ist es unumgänglich, gewissen Bedingungen zu ent-
sprechen.«
»Das weiß ich wohl, Herr Lornans, und ich glaube, schon
einige erfüllt zu haben.«
»Mag sein«, fuhr Marcel Lornans fort. »Die erste lautet,
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daß Sie Franzose des einen oder anderen Geschlechts sein
müssen . . .«
»Und ich speziell gehöre mit Ihrer Erlaubnis zum männ-
lichen Geschlecht, meine Herren!«
»Ja, ja, das wollen wir Ihnen aufs Wort glauben«, versi-
cherte Jean Taconnat, »und das setzt uns auch nicht in be-
sonderes Erstaunen.«
»Des weiteren verlangt das Gesetz«, fuhr Marcel Lornans
fort, »von der Person, die adoptieren will, daß sie selbst we-
der Kinder noch legitime Deszendenten habe . . .«
»Ganz mein Fall, Herr Rechtsanwalt, und ich füge noch
hinzu, daß mir auch Aszendenten abgehen . . .«
»Aszendenten sind doch nicht verboten.«
»Na, ich habe aber auch solche nicht.«
»Eine notwendige Eigenschaft, Herr Dardentor, fehlt Ih-
nen aber dennoch . . .«
»Welche denn?«
»Das Alter von 50 Jahren. Man muß wenigstens 50 Jahre
zählen, um einen anderen adoptieren zu dürfen.«
»Das werd’ ich in 5 Jahren erreicht haben, wenn Gott mir
das Leben läßt, und warum sollte er es nicht tun?«
»Ja, das wäre unrecht«, fiel Taconnat ein; »besser könnte
er ein solches Geschenk gar nicht anlegen.«
»Das mein’ ich auch, Herr Taconnat. Ich werde also die
Vollendung meines 50. Lebensjahres abwarten und dann zu
einer Adoption schreiten, wenn sich Gelegenheit, eine gute
Gelegenheit, wie man im Geschäftsleben sagt, dazu bietet
. . .«
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»Unter der Bedingung«, dozierte Marcel Lornans weiter,
»daß das männliche oder weibliche Individuum, das Sie da-
für im Auge haben, nicht älter als 35 Jahre ist, denn das Ge-
setz verlangt, daß der Adoptant mindestens 15 Jahre älter
ist als der Adoptierte.«
»Aber glauben Sie denn«, rief Herr Dardentor, »ich
würde mir einen alten Knaben oder eine alte Jungfer auf-
halsen wollen? – Behüte der Himmel! Ich werde weder 35-
noch 30jährige, sondern Personen wählen, die eben mündig
geworden sind, weil das Zivilgesetzbuch das vorschreibt.«
»Das ist alles recht schön, Herr Dardentor«, antwortete
Marcel Lornans. »Ich gebe zu, daß Sie alle bisher genann-
ten Bedingungen erfüllen, indes – es tut mit wegen Ihrer
geplanten Adoptivvaterschaft sehr leid – einer, ich möchte
darauf wetten, entsprechen Sie doch nicht . . .«
»Ich will hoffen, sie läuft nicht darauf hinaus, daß ich
mich keines guten Leumunds erfreute! Sollte es jemand
wagen, die Ehre Clovis Dardentors aus Perpignan, Ostpy-
renäen, irgendwie anzutasten?«
»Oh, niemand!« rief Kapitän Bugarach.
»Kein Mensch«, fügte Doktor Bruno hinzu.
»Nein . . . keine Seele!« versicherte Jean Taconnat.
»Unbedingt niemand!« erklärte Marcel Lornans noch
obendrein. »Von so etwas hab’ ich auch gar nicht sprechen
wollen.«
»Und wovon denn?« fragte Clovis Dardentor.
»Von einer gewissen, im Zivilgesetzbuch ausdrücklich
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festgelegten Bedingung, die Sie bisher jedenfall unbeachtet
gelassen haben . . .«
»Und, und die wäre?«
»Die, die da vorschreibt, daß der Adoptant für den Adop-
tierten, solange dieser noch unmündig war, ununterbro-
chen schon 6 Jahre lang gesorgt habe.«
»Das schriebe das Gesetz vor?«
»Ganz ausdrücklich!«
»Und wer ist das Schaf gewesen, das eine solche Bedin-
gung in das Gesetzbuch eingeflickt hat?«
»Auf das betreffende ›Schaf‹ kommt es nicht an.«
»Nun also, Herr Dardentor«, fragte Doktor
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